Das Bett
rauben.
Unsicherheit und Stolz verhinderten eine Zeitlang, daß sie »Fouquet’s« betrat, denn sie fürchtete, dort wieder hinausgewiesen zu werden. Aber eines Tages faßte sie sich doch ein Herz und öffnete die Pendeltür des Restaurants mit zurückgelegtem Kopf, dessen halblanges blondes Haar ganz unmodisch, wie eine Löwenmähne, ihr Gesicht umgab. Die gläserne Terrasse, die wie die Kammern, die bei Unterseebooten den Luftdruck ausgleichen, dem eigentlichen Restaurant vorgelagert war, um dem Besucher den Schock eines allzu plötzlichen Stimmungswechsels zu ersparen, und die zugleich verhinderte, daß durch das Öffnen der Pendeltür ein zu starker Verlust an der frischen, parfum- und wäscheduftenden Luft, wie sie in diesem Restaurant gezüchtet wurde, eintrat, war dicht bevölkert mit Gästen, die nur zu einem Tee oder einem Drink hereingekommen waren oder die auf Freunde warteten, mit denen sie sich alsbald in das goldene Innere des Hauses begeben würden. Aimée ging durch die Stuhlreihen und schaute sich um, als suche sie irgend jemanden, immer wieder stockte ihr Schritt, denn es herrschte ein heiteres Gedränge, das dennoch niemals bedrückend wirkte oder gar chaotisch, sondern vielmehr wie die kunstvolle Unordnung eines Festes auf der Opernbühne. Die Gäste, die dies Restaurant besuchten, waren sich auf eine geheimnisvolle Weise einig, obwohl sie in Alter und Nationalität bunt gemischt waren. Fast nichts unterschied diese Terrasse von wer weiß wie vielen anderen Terrassen, erst der zweite Blick zeigte, daß das polierte Holz der Türen edler war als anderswo, daß das Messing an der Bar schwerer und blanker erschien und daß das Licht eine warme Färbung hatte, die jeden Gast auf das vorteilhafteste aussehen ließ. Aimée wandte sich mit langsamen, aber bestimmten Schritten zur Treppe, die zu dem oberen Speisesaal führte. Der Speisesaal war noch beinahe leer um diese Zeit, auf der Straße war es noch hell, erst wenige dachten ans Abendessen. Aimée bewegte sich in diesem Saal, als ob sie vergessen hätte, daß sie |187| nicht einmal wagen durfte, sich zu setzen, ohne daß ein Kellner kam und sie nach ihren Wünschen fragte.
Die Panneaux waren mit rosenholzfarbener Seide bespannt, überall auf den Tischen blitzte frischgeputztes Silber im gelben Lampenschein, und aus den hohen schmalen Fenstern strömte das hellblaue Licht des Sommerabends, das zeigte, daß die Sonne untergegangen war und nicht mehr die Kraft besaß, die Farben an der Entfaltung ihrer glühenden Fülle zu hindern. Aimée glaubte in diesem blauen Licht die Nähe des Wassers zu spüren. Plötzlich fühlte sie sich wie im Speisesaal eines großen Ozeandampfers, dessen Luxus und Perfektion inmitten der unabsehbaren Wasserwüste doppelt eindrucksvoll auf die Besucher wirkt, deren Blick sich den ganzen Tag über in der Richtung eines ewig gleichförmigen Horizontes verloren hat und die nun in der Begrenzung, die sich diesem Blick in der harmlosen Gestalt einer Kristallkaraffe oder dem kleinen, geschnitzten Rosenkorb einer Stuhllehne bietet, eine ihrem Bewußtsein vielleicht unbemerkte, aber um so wirkungsvollere Erholung finden.
Dies war das Niemandsland des Reichtums, wie Aimée ihn sich vorstellte, weil sie sich wünschte, daß der Überfluß die Menschen reinigte und sie von den Schlacken aller Determination, sei es der Nationalität, der Klasse und von den Fesseln einer niederen Bedürftigkeit befreite. Sie stellte sich vor, daß es nur den Reichen gegeben sei, einen wirklich unabhängigen Geschmack zu entwickeln, weil nur für sie der Preis einer Speise, eines Kleides oder eines Bildes nicht die geringste Rolle spiele. Wenn ein Reicher ein Glas Wasser trank, dann deshalb, weil er in diesem Augenblick eben Wasser begehrte; es war niemals nur ein Ersatz für eine noch größere Köstlichkeit, die ja sofort zur Stelle gewesen wäre. Aimée verstieg sich in ihren Träumen zu der Vermutung, nicht einmal ein Verdurstender könne ein Glas Wasser schätzen wie ein Milliardär, der sich angesichts übervoller Weinkeller dafür entscheidet, eine Erfrischung zu wählen, die selbst bei den Armen als wertlos galt. Es schien ihr unmöglich, daß ein großer Geldhaufen den Charakter seiner Besitzer nicht auf das herrlichste verändern sollte. Die Reichen mußten die wahren |188| Ritter, die letzten Heroen der Einsamkeit und der Schönheit sein, geruchlos wie die Kamelien, kühl wie der Marmor, frei wie die Asketen auf hochaufragender Säule.
Als
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