Das Bett
sie in ihrem späteren Leben nur noch mit reichen Leuten umging und unter ihnen niemanden traf, dessen Moral und Geschmack nicht den Prinzipien des bürgerlichen Mittelstandes entsprachen, und zwar ganz einfach deshalb, weil die politischen und religiösen Predigten, die sie sich anhörten, von Angehörigen eben dieses Mittelstandes gehalten wurden und weil die Filme, die Bücher und die Zeitschriften, aus denen sie ihre ästhetischen Grundsätze bezogen, ebenfalls Erzeugnisse des Mittelstandes waren, verlor Aimée ihre Ideale dennoch nicht. Sie vermutete nun, daß ihr eben noch keine wirklich reichen Leute begegnet seien, und hielt auf diese Weise an ihren Idealen in dem Maße fest, wie diese durch die Wirklichkeit Lügen gestraft wurden.
Auch während sie durch den leeren, aber für den Empfang vieler Gäste bereits festlich gerüsteten Speisesaal von »Fouquet’s« ging, blieb ihr die Ernüchterung durch den Anblick von Leuten, die nicht in die Traumwelt gepaßt hätten, erspart. Das schöne Mädchen, das sich die alte Kostümjacke aus Herrenstoff mit einer ungeduldigen Geste um den Körper zog, als fröre es, blieb bei seinem langsamen Erkundungsgang unbehelligt, im Gegenteil, die Kellner, die leise hin und her liefen, um letzte Hand an die Tische zu legen, schienen sie nicht bemerken zu wollen und hielten die Augen diskret niedergeschlagen, wann immer sie Aimées Weg kreuzten, die das Ende des Saales erreicht hatte und sich nun wieder auf den Weg zur Treppe machte. Auf dem Rückweg betrachtete sie aus den Augenwinkeln ihre eigene Gestalt in dem großen Spiegel, der über dem Treppenabsatz hing. Die Unscheinbarkeit ihrer Garderobe versuchte sie bei dieser Gelegenheit durch eine noch stolzere Haltung auszugleichen, und es gelang ihr, wie sie es über die Bienen gelesen hatte, denen Farben und Formen nicht wichtig seien, nur noch ihre ausdrucksvollen Bewegungen wahrzunehmen. So war sie mit dem Bild, das sich im Spiegel bot, zufrieden.
|189| Ein zweiter Körper schob sich in den Rahmen. Plötzlich sah sie sich selbst unbeweglich neben einem großen jungen Mann mit spärlichem schwarzem Haar stehen.
Auch er verweilte einen Lidschlag lang neben ihr und setzte sich dann zugleich mit ihr wieder in Bewegung, allerdings in die entgegengesetzte Richtung.
Erst viel später sollte Aimée darüber nachgrübeln, ob dieser junge Mann Stephan Korn gewesen sein könnte, der ihr, als sie ihn dann kennenlernte, in Bewegung und Größe Ähnlichkeit mit dem jungen Mann zu besitzen schien, den sie bei »Fouquet’s« auf der Treppe gesehen hatte. Obgleich es ihr niemals gelang, dies mit Sicherheit festzustellen, und obgleich es ihr, je mehr sie sich bemühte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen, immer unwahrscheinlicher vorkam, daß dieser junge Mann wirklich Stephan Korn gewesen sein sollte, wurde ihr allein der Umstand, daß sie sich ohne ein zufriedenstellendes Ergebnis immerfort mit dieser Frage beschäftigte, bedeutungsvoll. Für Aimée waren Schönheit und Ordnung nur zwei Seiten ein und derselben Medaille, sie litt unter dem Chaos der Eindrücke, aus denen das Leben nun einmal besteht. Aber auch weniger unempfindliche Menschen als Aimée können der Versuchung nicht widerstehen, ein System hinter den Zufällen des Lebens aufspüren zu wollen. Was ihnen zustößt, möchten sie sich zwangsläufig denken. Die Gestaltlosigkeit der Zukunft, die droht, bald freundlich, bald grausam in gleichgültiger Willkür mit dem Leben des einzelnen zu verfahren, erhält eine erträgliche Maske für den, der sich daran gewöhnt hat, in allem, was ihm geschieht, Hinweise auf spätere Ereignisse zu erblicken, als ob alle Vorfälle des Lebens wie die Details auf dem Theater dazu bestimmt seien, den dramatischen Höhepunkt kunstvoll und symbolisch vorzubereiten.
So führte Aimées Nachdenken darüber, ob sie Stephan Korn, zwei Jahre bevor sie ihn kennenlernte, schon einmal auf der Treppe des Restaurants im Spiegel neben sich gesehen habe, dazu, daß sie der Begegnung mit ihm ein erheblich größeres Gewicht beimaß, als sie das getan hätte, wenn er ihr ohne Vorzeichen entgegengetreten wäre.
|190| Einstweilen jedoch vergaß sie die schemenhafte Erscheinung im Spiegel. Haften blieben zunächst nur die kostbaren Dinge in dem von ihr eigentlich nur flüchtig besichtigten Restaurant, so daß jeder, der sie beiläufig von »Fouquet’s« sprechen hörte, glauben mußte, sie habe die Angewohnheit, dort regelmäßig am frühen Abend, wenn es noch
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