Das Bett
angenehm leer sei, mit Freunden zu Abend zu essen.
Ines bemerkte nicht, daß Aimée offenbar Vorbehalte gegen ihr Lieblingsrestaurant hatte, denn sie genoß die Zusammenstellung des Menüs beinahe noch mehr als das Essen selbst. Dann wandte sich ihr Redefluß Aimée zu. Sie stellte eine Frage nach der anderen und wartete die Antwort gar nicht ab, so daß Aimée schließlich auch nicht mehr versuchte zu erzählen, warum ihre Eltern nach der Vertreibung nicht nach Deutschland gezogen waren und warum sie ihnen nicht hatte nach London folgen wollen, wo ihr Vater bei einer Nachrichtenagentur untergekommen war. Dabei hatte Ines offenbar ein gesteigertes Interesse an diesen Entscheidungen. Sie wollte nur zunächst einmal alles, was sie sich selbst dazu überlegt hatte, vortragen und faßte die Fragen, die sie stellte, lediglich als rhetorische Einleitung für ihr lebhaftes Referat auf, bei dem sie sich durch Aimées Einwürfe nicht stören lassen wollte. Im ganzen bekundete sie Verständnis für den Abstand, den die Levens zu Deutschland hielten, obwohl ihnen im Land ihrer Herkunft nicht nur keine Gefahren drohten, sondern sie sogar Ersatz für den in Estland verlorenen Besitz erwartet hätte, eine Entschädigung freilich, die der Vater Aimées als kompromittierend empfinden mußte, denn es handelte sich um einen Hof, von dem der polnische Eigentümer erst hätte vertrieben werden müssen, um den Levens Platz zu machen.
Obwohl Ines in politischer Hinsicht gleichgültig war, fürchtete sie den Krieg. Sie stammte aus dem Grenzland, das nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Deutschland und Belgien den Besitzer gewechselt hatte, aber ihr war jeder nationale Eifer fremd. Sie empfand nur die Vorteile, die sich aus der Konstellation ihrer Geburt ergaben, weil sie ihr erlaubten, sich im westlichen |191| Europa zu Hause zu fühlen. Sie genoß es, unangefochtenes Mitglied der Frankfurter Gesellschaft und zugleich von einer Aura der Ausländerin umgeben zu sein, die sie in aller Gutmütigkeit pflegte, um den Frankfurter Freunden zu gewähren, was sie von ihr erwarteten. Es wäre ein entsetzliches Unglück, wenn ein Krieg nun alles wieder stören würde, es mit dem Reisen aus sein sollte und wenn dann eines Tages vielleicht doch wieder dieser gereizte, vergiftete Ton in die Salons eindringen und die Unterhaltung zwischen Menschen verderben würde, die nach Ines’ Anschauung dazu geschaffen waren, sich gegenseitig Vergnügen zu bereiten, bis sie früh genug grau und häßlich wurden und ins Grab sanken. Ines’ hartnäckige Versuche, alles zu ignorieren, was feindselig und bedrohlich aussah, scheiterten in der letzten Zeit immer häufiger, und es gelang auch ihr nicht, ihrer Freundin Florence auszureden, was diese ihr kühl und sachlich an den zehn Fingern aufzählte, als sie ihr eines Tages erklärte, daß nunmehr für die Korns der Zeitpunkt erreicht sei, Deutschland zu verlassen.
Die Abreise der Korns mit Sack und Pack, nachdem sie das Haus verkauft und eine juristische Lösung gefunden hatten, die faktisch ihren vollkommenen Rückzug aus dem Geschäft bedeutete, ließ keine Täuschung mehr darüber zu, daß dieser Aufbruch endgültig war. Die Korns zerschnitten jedes Band, das sie an Deutschland fesselte, und ließen Ines in der Ungewißheit zurück, ob es moralisch verwerflich oder vielleicht besonders töricht sei, ihnen nicht nach Amerika zu folgen, sondern in Frankfurt zu bleiben.
Als sie mit Aimée sprach, versuchte sie hingegen, sich von solchen Konflikten nichts anmerken zu lassen, aber ihr blieb doch der Mund offen stehen, als Aimée plötzlich sagte: »Der einzige Punkt, weswegen ich nicht in Deutschland leben will, ist, daß dort jeder deutsch spricht.« – »Ja, was sollen die Deutschen denn sonst sprechen?« fragte Ines verblüfft.
»Sie sollen sprechen, was sie wollen. Aber nicht mit mir! Mit dir will ich deutsch sprechen, mit Mama, mit Papa, mit Nikolaus und Dorothea, auch mit Tante Spatz, aber doch nicht mit jedem |192| Postbeamten, jedem Eisenbahnschaffner, dem Bürgermeister und dem Schuster! Solche Leute sprechen in Deutschland deutsch. Ich denke gar nicht daran, mich an das Deutschsprechen mit jedem dreisten Kerl zu gewöhnen.«
Ines genoß diese Bekundung des Hochmuts, der ihr selbst völlig fremd war, den sie an anderen aber als historische Trouvaille bewunderte: »Mein Gott, wie seid ihr Balten fein«, sagte sie schließlich. »Nein, das habt ihr allen anderen voraus, ihr seid noch eine richtige
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