Das Bett
Herrenrasse!«
»Ich bin nicht fein«, sagte Aimée scharf. »Ich bin normal. Ich sage nur, was ich empfinde.«
»Du möchtest doch sicher noch etwas essen?« fragte Ines beinahe scheu und winkte einem Kellner, der die Silberplatte vom Rechaud nahm und Aimée eine zweite Seezunge auf den Teller legte, während sie mit einem raschen Blick feststellen konnte, daß noch eine weitere Seezunge auf der Platte lag.
Ines fragte sich indessen, wie Aimée auf Florence gewirkt hätte, und erwog, ob die Tochter ihres einstigen Freundes es gewagt hätte, auch zu Florence so streng zu sein. Sie bewunderte Florence und war zugleich in ständiger Furcht vor ihr. Deren Flucht aus Deutschland war deshalb für Ines ein ambivalentes Ereignis: Einerseits bedauerte sie natürlich, den täglichen lehrreichen Umgang mit ihrer besten Freundin für vielleicht alle zukünftigen Zeiten hin vermissen zu müssen, andererseits machte es ihr eine Florence, die nun nicht mehr in Frankfurt lebte, erheblich leichter, der fernen Freundin liebevoll zu gedenken. Denn es kam doch allzu oft vor, daß deren Vollkommenheit auf Ines einschüchternd wirkte oder daß Florence die muntere Ines eine gewisse Mißbilligung oder auch eine kaum spürbare Geringschätzung ahnen ließ, deren Berechtigung Ines angesichts der unbestreitbaren Überlegenheit ihrer amerikanischen Freundin zwar anerkannte, sich aber doch ganz einfach wohler in ihrer Haut fühlte, wenn ihr die eigene Inferiorität nicht beständig unter die Nase gehalten wurde. So wurde es ihr auch möglich, sich dankbar an Florence’ Erhabenheit zu erinnern; allein die ideelle Existenz solcher Vorzüge straften die schroffen Manieren |193| der kleinen Aimée und nahmen der verträglichen Ines die unangenehme Aufgabe ab, an ihrem Gast herumzuerziehen.
Daß Florence jetzt nicht da war, hatte aber noch einen weiteren Vorteil, den Ines sich wohl verbot, zu bedenken, denn schon der Gedanke daran hätte ihr die Stimmung verdorben. Was wäre denn gewesen, wenn Aimée sich Florence gegenüber höchst wohlerzogen betragen hätte, aber nicht, weil sie sich vor der Älteren fürchtete, sondern weil sie sich mit ihr besonders einig fühlte und diese Verwandtschaft sofort in ein Bündnis gegen Ines gekehrt worden wäre? Ines empfand sekundenlang eine kleine Erleichterung darüber, daß zwischen dieser Frage und ihrer Beantwortung der Ozean lag und daß die Politik, so sehr sie alles natürliche Leben und Weben verhinderte, in ihrem Schlepptau für den einzelnen mitunter auch Entlastungen mit sich führte. Ihre Ahnung, der sie nicht gestattete, eine regelrechte Vermutung zu werden, trog sie wahrscheinlich nicht, denn wenn sich auch Frauen wie Florence oder Aimée meist in der Gesellschaft ebenso starker und intelligenter Frauen langweilen, hätte hier der Abstand der Jahre die Entstehung von Sympathie und gegenseitiger Bewunderung vielleicht günstig beeinflußt, denn Aimée hätte Florence’ Vorbild nicht belastet, da nichts als die Zeit sie von ebensolcher Vollkommenheit trennte, und Florence hätte bei der gerührten Betrachtung der Jugend Aimées ihrer eigenen Mädchenjahre gedenken können, ohne befürchten zu müssen, in ihrer Sphäre durch die Jüngere gestört zu werden. An Souveränität, an Energie, auch an Verstand waren sich die beiden Frauen gleich. Ihre Bereitschaft, den eigenen Vorteil zu erkennen und zu nutzen, ihre Verachtung der Sentimentalität und ihre nervöse Sorge um jede Beeinträchtigung ihrer Selbständigkeit machten sie beinahe zu Schwestern, und dazu kam noch, daß nicht nur die physische Ähnlichkeit in den Augen der andern eine Verbindung zwischen zwei Menschen begründet, denn auch die in allem genau entgegengesetzte Erscheinung kann dazu verführen, sich die antagonistischen Wesen als Paar zu denken.
Es wäre dabei ein leichtes für jeden, der die beiden Frauen |194| kannte, eine Fülle unterschiedlicher Eigenschaften und Verhaltensweisen aufzufinden. Aimée und Florence waren nicht nur in einem verschiedenen Alter, sondern sie stammten auch aus verschiedenen Milieus, und daraus ergab sich, daß sie sich in bestimmten Verhältnissen ganz anders verhielten.
Florence und Willy pflegten zum Beispiel kaum gesellschaftlichen Umgang, weil Florence sich mit den meisten Frankfurtern tödlich langweilte und Willy in dieser Haltung seiner Frau die gute Seite erblickte, viel Geld sparen zu können, das sonst sinnlos mit Gästen aufgegessen worden wäre. Dennoch gaben die Korns einmal im Jahr
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