Das Bett
Hofgesellschaft augenblicklich zum Verstummen bringt, weil sie das Nahen des Fürsten ankündigt. Auch Ines verstummte. Die Entschlossenheit von Florence hatte ihr das Gefühl gegeben, diese Argumente besäßen unwiderstehliche logische Kraft, der Versuch, dagegen anzurennen, sei daher schon allein aus Gründen der Vernunft aussichtslos. Erst als Florence gegangen war, wurde Ines wütend, weil jetzt die Wunde der Demütigung, die sie erlitten hatte, zu schmerzen begann, wie auch die Unglücklichen, denen die Hände erfroren sind, vor Schmerzen erst zu weinen beginnen, wenn man sie aus der tödlichen Kälte an einen warmen Ofen gebracht hat.
Eine solche Zurechtweisung hätte sie von Aimée niemals befürchten müssen. Aimée war selten tückisch. Sie zeigte ihre Verachtung offen, und sie hätte sich niemals hinter vermeintlich bindenden Regeln versteckt, um sich zu rechtfertigen. Sie wußte, daß es diese Regeln gab, und sie hatte grundsätzlich auch nichts dagegen einzuwenden, aber sie empfand, daß sie außer Kraft gesetzt waren, nachdem ihre Familie Estland verlassen mußte, oder doch jedenfalls bei der Batterie silberner Teekannen, die in Ubbia blieben, zurückgelassen worden waren. Die Vertreibung hatte aus Aimée wieder eine Wilde gemacht. In ihr wachten Eigenschaften auf, die fünfhundert Jahre lang geschlafen hatten und die ihren Vorfahren nützlich gewesen waren, als sie als abenteuernde Kolonisatoren in die estnisch-heidnische Wüstenei zogen, um dort zu siedeln.
|197| Florence hingegen verbrachte ihr Leben in einer bürgerlichen Welt von Wohlstand und Sicherheit, die noch unangreifbarer zu sein schien, je mehr das gesamte übrige Gefüge des alten Europa ins Wanken geriet. Florence strahlte geradezu den Anspruch aus, von den Erschütterungen der Weltordnung, mit den Menschen, die zu ihr gehörten, unberührt zu bleiben. Wie eine Porzellanfigur, der sie auch physisch glich, war sie hart und zerbrechlich zugleich. Sie erfuhr dazu aber noch die schicksalhafte Gunst, daß man auf ihre Zerbrechlichkeit Rücksicht nahm, und sie brauchte sich dafür bei niemandem zu bedanken, denn sie hatte nicht das Gefühl, daß die Vorsicht, mit der das Leben mit ihr verfuhr, sie glücklicher machte.
Ob dieser an sich rein äußerliche Unterschied zwischen Aimée und Florence, der vielleicht doch nicht nur äußerlich war, weil die Lebensformen, die der einzelne durch eine Kette von Zufällen annimmt, gelegentlich zum Bestandteil des Charakters werden, die Beziehung der beiden zu stören vermocht hätte, muß nicht geklärt werden, denn Aimée und Florence lernten sich niemals kennen. Florence erfuhr nicht einmal, daß sie eines Tages der Jüngeren etwas zu verdanken haben würde, ebensowenig wie Aimée wußte, daß sich ihr Weg mit dem der Älteren gekreuzt hatte. Beide blieben unberührt davon, daß Ines in einem ihrer Selbstachtung gefährlichen Augenblick in ihrer Vorstellung eine Konjunktion zwischen ihnen hergestellt hatte. Und wenn auch der Glaube an die Kraft der Gedanken von da an zwischen den beiden Frauen ein geheimes geistiges Band erkennen würde, sollte es dabei auch bleiben, ebenso wie die Vorliebe, sowohl von Florence als auch von Aimée, in der heißen Badewanne zu liegen – ein Glück, das Florence sich häufig zweimal am Tag bereitete –, nichts daran änderte, daß Aimée in ihrem unsauberen Hotel auf die Erfüllung solcher Wünsche ganz verzichten mußte.
Aimée stand jeden Morgen nackt auf einem kleinen Handtuch, das sie auf den schmutzigen roten Teppich legte, und versuchte, mit dem wenigen Wasser in der Waschschüssel eine Reinigung ihres Körpers zu erreichen, die ihrer Selbstachtung eben |198| gerade genügte. Niemals gelang es ihr, die Schwierigkeit zu lösen, sich mit dem zur Verfügung stehenden Wasser einzuseifen, um sich danach damit auch wieder von der Seife zu befreien, denn wenn sie den Waschlappen in der Schüssel ausgewrungen hatte, war das Wasser so seifig, daß es illusorisch war, damit noch Seife entfernen zu wollen. Sie kannte die Folgen der nicht vollständig abgewaschenen Seife genau: Die Haut spannte und juckte den ganzen Tag, und so versuchte sie denn, im Krug Wasser aufzusparen, das sie über den Waschlappen goß, das aber niemals ausreichte, um ihn wirklich sauber zu machen, weil das Wasser in Paris nicht hart genug war. Während sie mit angeekeltem Gesicht mit dem Lappen, der glitschigen Seife, dem Wasserkrug und der Schüssel hantierte, liefen die milchigen Wassertropfen an
Weitere Kostenlose Bücher