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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ihrem Körper herunter und verursachten ein kleines Kitzeln, wie es entsteht, wenn Fliegen auf der Haut hin und her laufen.
    Aus Ubbia war sie zwar auch keinen modernen Badeluxus gewöhnt. Das Badezimmer dort war ein hoher Raum mit großen Fenstern, der neben der Küche lag, so daß man von dort die Eimer mit heißem Wasser herübertragen konnte, und sie erinnerte sich mit Sehnsucht der Badetage – dem einzigen Heimatlichen, dem sie zärtlich anhing –, an denen der Tisch, der sonst über der Badewanne stand, weggerückt wurde und eine dicke Frau aus der Küche ihr das heiße Wasser Eimer für Eimer über den Rücken goß. Auf einem Stuhl an der Seite lag ein Stoß dünner, frisch gestärkter weißer Handtücher, die die Wassertropfen vom Körper tranken wie die feingewirkten Schweißtücher der Antike. Aus der Küche drang der Duft eines soeben aus dem Ofen gekommenen Kuchens, und schließlich kam noch ein großer, halb blinder, alter Jagdhund hereingetappt, legte seinen weißbärtigen Kopf auf den Wannenrand und sah sie an.
    »Was für ein vulgärer Unsinn ist das Waschen«, dachte Aimée, wenn sie sich allzu lange bei den Behaglichkeiten ihres Elternhauses aufgehalten hatte, »nur Schweine müssen sich waschen. Herrschaften stinken nicht«, eine Feststellung, die, so maßlos sie klang, jedenfalls auf sie selbst zutraf. Sie war nach der |199| tagelangen Fahrt unter den erbärmlichsten Bedingungen aus Estland in Paris mit dem Duft eines frisch gebadeten Säuglings aus dem Zug gestiegen. Der zart brünette Ton ihrer Haut ließ sie gesund erscheinen. Auch nach Jahren in der großen Stadt sah Aimée noch aus, als sei sie gerade von einem Pferd gestiegen, das sie ohne Sattel zugeritten hatte.
    Ob Florence mehr für ihr makelloses Äußeres tun mußte als Aimée, wissen wir nicht, denn sie hatte niemals in ihrem Leben versuchen müssen, ohne ihren zeitraubenden kosmetischen Kult auszukommen, und hatte deshalb auch nicht feststellen können, ob er für die Erhaltung ihrer Haut und den Glanz ihres Haares erforderlich war oder ob seine Funktion in dem Genuß bestand, den ihr die Pflege ihres Körpers bereitete. Das Badezimmer jedenfalls war für sie der wichtigste Raum des Hauses. In der Villa im Frankfurter Westend mußte sie deshalb bedeutende Umbauten veranlassen, denn in dem sonst großzügigen Haus war gerade das Badezimmer eher kläglich ausgefallen, wie häufig in Frankfurter Herrschaftshäusern, an denen eigentlich immer irgend etwas nicht stimmte: Entweder gab es kein repräsentatives Portal, sondern nur einen verlegen in den Hinterhof gesetzten Eingang, es fehlte die Lieferantentreppe, es war nicht für genügend Wirtschaftsräume gesorgt, oder es gab eben allenfalls ein handtuchschmales und noch dazu fensterloses Badezimmer.
    Florence ließ für sich ein großes, helles Zimmer, das als Ankleidezimmer gedacht war und neben ihrem Schlafzimmer lag, als Badezimmer einrichten. Über den rot und grau geäderten Platten aus Lahnmarmor, die die Wände halbhoch verkleideten, zog sich ein grünes Mäanderband, die Badewanne stand in einer Nische, das Zimmer konnte mit muschelförmigen Lampen aus weißem Milchglas mild und doch beinahe taghell beleuchtet werden. Kein sanft rieselnder Forellenbach in einem sonnendurchfluteten Wiesental hätte für Florence ein Geräusch erzeugen können, das von der Köstlichkeit des einlaufenden Badewassers war, dessen Rauschen frühmorgens an ihre Ohren drang, wenn sie gerade erwacht war und ihren Kopf in der kurzen Verwirrung, die das Erwachen aus dem Schlaf stets mit sich bringt, aus dem Kissen |200| erhob, einem Kissenberg, der sich pyramidenförmig aus einem sehr breiten, flachen, leinenbezogenen Kissen zu einem kleinen Batistkissen verjüngte. Florence schlief immer erst in den frühen Morgenstunden ein. Sie fürchtete sich allabendlich vor dem Augenblick, an dem sie sich zur Ruhe legte, denn sie wußte, daß dies der Beginn eines langen aussichtslosen Kampfes mit der Schlaflosigkeit war. Sie lag dann in ihrem Schlafzimmer, in dem die dicken Teppiche, die schwergefütterten Fenstervorhänge und die Doppeltüren dem einzigen Zweck dienten, jedes Geräusch, das den Schlaf stören konnte, fernzuhalten, und sie fühlte schmerzlich, wie sinnlos dieser Aufwand war, denn er half ihr nicht, auch nur eine halbe Stunde länger zu schlafen, als es die stählerne, immer gespannte Feder in ihrem Innern erlaubte. Florence erlebte in ihren Nächten das Phänomen des vollkommen wachen, fähigen und

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