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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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zugleich untätigen Geistes. Es gab nichts, worüber sie nachdenken konnte. Sie kannte keine Fragen, die sie ruhelos sein ließen: Wenn ein Problem in ihrer Umgebung auftrat, löste sie es; wenn es ungelöst bleiben mußte, wandte sie sich auf der Stelle wieder davon ab. Sie trug nichts in ihrem Kopf mit sich herum. Ihr Gehirn war aufgeräumt und arbeitsbereit, so wie eine nagelneue hochkomplizierte Maschine, die mit unverbrauchter Kraft die schwierigsten Aufgaben erfüllen wird, wenn man sie zum erstenmal anschaltet, und die, bevor das geschieht, in der Totenruhe der reinen Materie vor uns steht. Sie war mit allem einverstanden, was sie umgab, so daß sie nicht einmal Langeweile empfinden konnte in den endlosen Stunden des Wartens auf den Schlaf, den sie weniger herbeiwünschte um der Wohltat willen, die er gewährte, sondern den sie aus medizinischen Gründen für ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit für notwendig hielt, aber genauso, wie sie das auch bei einem wildfremden Menschen oder einer erkrankten Hausangestellten getan hätte, und ihre Qual bestand darin, daß die Natur sich ihrem Willen widersetzte und sich weigerte, etwas zu tun, was Florence für vernünftig befunden hatte.
    Worum sonst sollte sie sich sorgen? Sie war wohlhabend geboren, und sie hatte wohlhabend geheiratet. Willy Korn war ein |201| vorzüglicher Kaufmann. Ihre Brüder, die vernünftigerweise auf ihrem Vermögen die schützende Hand behalten hatten, versicherten ihr, daß er vom Geld etwas verstehe und daß sie sich an seiner Seite um nichts zu bekümmern brauche. Sie hatte einen Sohn, Stephan, dessen Intelligenz sie als der eigenen ebenbürtig empfand. Unter der Tatsache, daß Bernie, ihr zweiter Sohn, das Pulver nicht erfunden hatte, litt sie nicht, weil sie es für gerecht hielt, daß bei einem von zwei Söhnen durchaus auch die Erbmasse des Vaters zum Ausdruck kommen dürfe.
    Stephan entwickelte sich zwar etwas sonderbar, es schien ihm an Vitalität zu fehlen, aber auch das beunruhigte sie nicht, da für ihn gesorgt war. Er würde sich nirgends durchsetzen müssen. Und sie selbst war zufrieden mit sich und dem Leben, das sie führte. Ja, sie sagte manchmal mit hochmütigem Lächeln: »Ich führe eigentlich überhaupt kein Leben, und das ist auch gut so. Ein Schicksal haben, das ist doch furchtbar altmodisch. Ich schaue lieber zu und achte im übrigen darauf, daß ich mich gesund ernähre.«
    Willy wußte, was dieser Satz bedeutete. Er war niemals in Florence wirklich verliebt gewesen, aber er war doch stolz, eine Frau mit nach Frankfurt zu bringen, deren Glanz man in seiner Heimat gar nicht in seiner ganzen Fülle ermessen konnte, der ihm aber aufgegangen war, als er ihr zum erstenmal auf ihrem pompösen Coming-out-dance begegnete. Deshalb waren es nicht die Schmerzen enttäuschter Liebe, die ihn durchfuhren, als Florence bald nach der Hochzeit auf getrennten Schlafzimmern bestand und sich dann nach einiger Zeit ihre Zimmertür für immer vor ihm verschloß. Aber seine männliche Gekränktheit wäre noch erheblich gesteigert worden, wenn er geahnt hätte, was Florence empfunden hatte, wann immer er sich schnaufend auf ihrem weißen Leib bewegte, und welche Gedanken in ihr aufgekommen waren, wenn sich die Erfüllung seiner Liebesmühe in einem seligen Lächeln des Stolzes und der Befriedigung auf seinen Zügen malte. Florence wurde es unheimlich bei der Heftigkeit ihrer Verachtung, die ihr deutlich machte, daß die Greueltaten, wie sie in proletarischen Familien vorkamen und von denen in |202| der Zeitung unter den »Vermischten Nachrichten« berichtet wurde, Ursachen hatten, die ihr selbst auf ihrem Logenplatz im Leben nicht unbekannt blieben. Sie trauerte dem Glück der Liebe, das ihr vorenthalten war, allerdings nicht lange nach. Ihre Erhabenheit hinderte nicht, daß ihre Freundinnen ihr Geständnisse über deren Affären ablegten und sie das sogar gern taten, denn Florence verschonte sie mit Ratschlägen, konnte oft genug ein Erstaunen über die wilden Vorkommnisse nicht verbergen und zierte sich zwar zunächst ein wenig, indem sie desinteressiert tat, war aber dann eine unermüdliche Zuhörerin. Sie hörte die Geschichten von der Liebe an, wie die Leser der vergangenen Jahrhunderte den Reiseberichten aus fernen unerforschten Ländern auf dem afrikanischen und asiatischen Kontinent folgten. Je aberwitziger diese Reiseschilderungen waren, desto williger schenkte das Publikum ihnen Glauben. Warum sollte es in Regionen, in denen es

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