Das Bett
Elefanten, Tiger und Krokodile gab, in denen die Mohren unter Palmenbäumen ihre entsetzlichen Tänze aufführten, nicht auch Wesen mit zwei Köpfen, Kopffüßler, augenlose Ungeheuer und fliegendes Gewürm geben? Es war naiv, aber deswegen noch lange nicht unintelligent, wenn man sich sagte, daß man dort, wo kein vertrautes Gesetz galt, alles für möglich halten müsse, und auch Florence folgte diesem Gedanken, wenn über den großen weißen Flecken auf der Landkarte ihrer Gefühle, die Liebe nämlich, gesprochen wurde. Jede Schilderung der Exaltation, die diese Empfindung offenbar mit sich brachte, fand bei ihr willige Aufnahme: Sie wurde immer vertrauter mit den zahllosen Demütigungen, der Hoffnungslosigkeit, dem zerstörerischen Schmerz der Eifersucht, der trügerischen Süße des allzu kurzen Beginns einer Affäre, der Sklaverei, deren Ende nicht die Freiheit, sondern der Stumpfsinn war. Aber Florence geriet durch diese Kenntnisse nicht in die Stimmung des Verzichts als Leidenschaft wie die Princesse de Clèves, sie war sogar weit davon entfernt, sich einer Haltung edler Resignation zu rühmen. Sie bewahrte sich die kindliche Neugier diesem Gegenstand gegenüber, wie die Leser der erwähnten Reisechroniken, in denen Wahrheit und Phantasie unentwirrbar gemischt waren, in |203| die angeregteste Stimmung versetzt wurden und selbst das Grauen noch behaglich empfanden, weil sie wußten, daß alles, was sie lasen, mit dem eigenen Leben nicht in der schwächsten Verbindung stand und daß alle Gnome, Monster und Giftschlangen Äthiopiens nichts daran änderten, daß in Frankfurt am Main Brötchen gebacken, Steuern gezahlt und Weihnachten gefeiert wurden.
So kam es, daß Florence in der Liebe eine seltene Unschuld bewahrte. Sie war arglos, und sie schützte sich nicht vor ihren Gefahren, denn sie behielt aus den Beichten ihrer aufgekratzten Freundinnen nur die exotischen Aspekte im Gedächtnis, und sie vergaß darüber, daß nicht nur der Biß der Viper giftig sein kann, sondern auch ein Stück verdorbene Fleischwurst.
Nein, es gab keine Sehnsucht und keinen Kummer, der ihren Schlaf störte. Ein Nachtlämpchen mit einem gelbseidenen Schirm verbreitete Rembrandtsches Goldlicht in ihrem Zimmer, denn sie liebte es nicht, ins Dunkle zu starren. Wenn ihre Augen schon geöffnet waren, sollten sie auch etwas sehen. Sie schlief gegen vier Uhr morgens beim Schein dieses Lämpchens ein, der auch den leichten Schlaf, der dann schließlich bei ihr einkehrte, nicht störte und der sich, wenn sie erwachte, in dem kühlen Tageslicht, das durch eine Vorhangspalte ins Zimmer drang, verdünnte und verlor, wie wenn man einen Tropfen bernsteinfarbenen Kräuterextraktes in ein großes Wasserglas fallen läßt.
Agnes kam zu dieser frühen Stunde in ihrem Morgenrock herunter und ließ im Badezimmer, das auch vom Korridor aus betreten werden konnte, das Wasser in die Badewanne einlaufen. Florence war dann bereits wieder in ihrem Ur- und Naturzustand, nämlich in dem der Geistesgegenwart, die freilich am Tag, wo tausend Pflichten auf sie warteten, harmloser und selbstverständlicher wirkte als in ihren schlaflosen Nächten, wenn in unheimlicher Wachheit ihr Kopf wie eine Schmuckkassette, die statt einer Krone ein menschliches Gehirn umschloß, auf einem köstlichen Kissen lag als Monument eines ewig präsenten, sich selbst genügenden Geistes.
Während in Aimées früher Jugend in Ubbia ein festgestampfter |204| Lehmboden, der erst später mit Dielen bedeckt wurde, zur Ausstattung der Badestube gehörte, lag bei Florence ein blumendurchwirkter Teppich auf den Marmorfliesen, die in Frankfurt einheitlich grau, in New York schwarzweiß im Schachbrettstil angeordnet waren. Dennoch betrat sie ihr Badezimmer nicht barfuß, sondern in seidenen Pantoffeln. Überhaupt hatte sie sich für den kurzen Weg richtig angezogen. Ihre Negligés dienten ausschließlich dem Zweck, sie auf dem Weg zwischen Bett und Bad zu bekleiden, auf dem sie von niemandem gesehen wurde. Es versteht sich, daß es keinen Menschen gab, der sich hätte rühmen können, Florence im Negligé gesehen zu haben, denn sie trat der Welt nur fertig gerüstet vor Augen.
Agnes hatte die Tür längst hinter sich geschlossen, und nur ihre im Badezimmer sichtbaren Vorbereitungen zeigten, daß sie sich darin aufgehalten hatte. Die Badewanne war beinahe vollgelaufen. Das Wasser verwandelte sich im Becken in eine feine weiße Milch, denn Agnes hatte reichlich aus einer der Kristallflaschen
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