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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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auf dem Glasbord in die Badewanne eine duftende Flüssigkeit gegossen, die so konzentriert war, daß sie die große Wassermenge verwandeln und veredeln konnte.
    Florence zog ihr Negligé aus, tat auch das Nachthemd fort und sah sich nackt im großen Spiegel an. Diese Musterung war streng und fand jeden Morgen statt, obwohl es ihr niemals gelang, eine Veränderung an ihrem Körper festzustellen, entweder weil er seine Fasson auf geradezu unwahrscheinliche Weise gegen das Älterwerden konservierte, oder aber weil er sich so allmählich veränderte, daß selbst Florence es nicht wahrnahm. Sie tat nun etwas Eigenartiges, was sich übrigens auch Aimée eine Zeitlang angewöhnt hatte. Sie legte ihre Hände auf die Brust oberhalb des kleinen Busens, sie führte sie zusammen, ließ sie dann wie eine spitze Phalanx zwischen den beiden Brüsten nach unten gleiten, unterhalb der Brüste teilten sich die Hände wieder und strichen über die Haut des Brustkorbs, bis sie den Körper rechts und links festhielten, so daß die Arme aussahen wie hoch angesetzte Henkel an einer tönernen kretischen Gottheit, die zugleich einen Krug bildet. Dann trennte sich Florence von |205| ihrem Anblick und prüfte mit dem Fuß die Wassertemperatur, die immer fünfunddreißig Grad Celsius warm war, bevor sie sich in das Wasser sinken ließ. Florence machte sich über das kleine Ritual keine Gedanken. Hätte man sie gezwungen, sich dazu zu äußern, wären ihr nur kosmetische Gründe eingefallen, und sie hätte die Hoffnung geäußert, daß diese milde Massage ihre Haut straff halte.
    Aimée war entweder bewußter oder ihre Phantasie war spielerischer. Sie nannte dies Streicheln über die bettwarme Haut, das sie besonders genoß, »das Formen«, und tatsächlich hatten die zarten, aber entschieden zupackenden Hände etwas von denen eines Bildhauers an sich, der ein noch grob entworfenes Tonmodell glatt streicht und aus dem formlosen Klumpen mit knetendem Druck ein organisch erscheinendes Gebilde entstehen läßt.
    Das »Formen« hätte auch Florence dieses Spiel nennen können, in dem sie wohlig die festen Grenzen ihres puppenhaft kleinen Körpers spürte. Ganz ähnlich mußten die lustvollen Empfindungen beschaffen gewesen sein, die Pallas Athene erlebte, als sie, noch im Haupt ihres Vaters Zeus geborgen, doch schon wußte, daß sie schön entwickelt und vollständig geformt war und daß nichts sie hinderte, die Stirnplatte des Vaters zu sprengen und die Welt in Besitz zu nehmen. Die Welt war heller geworden, als Athene diesen Sprung tat. Und auch heute noch war es, als ob die Blumen in den Vasen frischer leuchteten, als ob der Toast kräftiger duftete und die Kaffeekanne stärker funkelte, wenn Florence nach Abschluß ihrer Badeprozedur mit raschem Schritt das Eßzimmer betrat, wo Willy sich vom Stuhl erhob, eilfertig die Zeitung schloß und ihr die raschelnden Blätter mit der Geste eines Buben hinhielt, der gegen ausdrückliches Verbot ein Spielzeug aus dem Schrank genommen hat, das er erst am Nikolausabend erhalten sollte. Florence war gnädig und ließ ihm die Zeitung, die er ohnehin in ihrer Gegenwart nicht weiterzulesen wagte und in die sie selbst in Ruhe schaute, wenn er im Büro war. Auf Willys Frage, wie sie geschlafen habe, antwortete sie stets: »Ausgezeichnet.« Und dabei log sie nicht einmal sehr, denn wenn der Tag so weit fortgeschritten war, daß sie am Frühstückstisch |206| erschien, dann ging es ihr in der Regel gut, die Nacht war vergessen.
    Auch Aimée war gnädiger gestimmt, als sie ihre vierte Seezunge gegessen hatte, und brachte Ines sogar zum Lachen, die nicht nachtragend sein wollte und sich dankbar auf die bessere Laune ihres jungen Gastes einstellte. Ines fühlte sich wieder in ihrem Element und genoß es, sich in einer jüngeren Freundin zu spiegeln. Sie begann, Pläne zu machen und zu überlegen, wie man die wenigen Tage bis zu ihrer Abreise möglichst heiter verbringen könnte. Sie traute Aimées Diskretion, denn sie hielt sie zu Recht nicht für eine der kleinbürgerlichen Rachegöttinnen, von denen es in Frankfurt leider eine ganze Anzahl gab, die sich für die ihnen aus Feigheit und Häßlichkeit entgangenen Vergnügungen entschädigten, indem sie den Menschen, die etwas von der Organisation ihres Vergnügens verstanden, das Leben schwermachten. Im Grunde glaubte sie deshalb riskieren zu dürfen, daß Aimée Alphonse kennenlernte, der sich gerade recht erfinderisch um sie bemühte und dem sie in ihrer zielbewußten

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