Das Bienenmaedchen
gegenüber freundlich verhalten, aber das änderte nichts daran, dass sie ihn heftig verabscheute.
Gemäß ihrer Anweisung nahm sie einen anderen Weg zurück zum Bahnhof. Sie ging durch eine Nebenstraße der Rue de Rivoli und blieb, fasziniert von all den schönen Dingen, die es zu kaufen gab, vor den Schaufenstern der Geschäfte stehen. Ein Spielzeugladen fiel ihr ins Auge. Dort im Schaufenster stand eine hellrot lackierte Holzlokomotive. Einen Moment lang stand sie da und starrte sie an. Warum nicht?, dachte sie, öffnete die Ladentür und ging hinein.
»Geschenke! Oh Bea!« Allein ihre Gesichter zu sehen, war es wert gewesen.
Der kleine Junge packte seinen Zug mit beiden Händen und hob ihn an den Mund.
»Nein, so«, sagte Beatrice, befreite das Spielzeug sanft aus seinem Griff und zeigte ihm, wie man es über den Boden schob. »Huhuh!«
»Ohhhh«, rief er, schnappte sich die Lokomotive und knallte sie mit einem Ausdruck purer Freude auf den Boden.
Angie schrie auf, als sie ihre Geschenke auspackte: eine emaillierte Puderdose und einen Lippenstift. Sogar Nanny hatte etwas bekommen: einen warmen Schal. Es gab auch Seife für den Haushalt und Haarspangen.
»Bea, wo hast du das alles her?«, fragte Angie. Sie starrte ihre Freundin verwundert und argwöhnisch an. »Das kommt aus Frankreich!«
»Kein Problem, wenn man die richtigen Leute kennt«, antwortete Beatrice, die sich amüsierte. Wie leicht war es zu lügen, selbst gegenüber Freundinnen! Aber sie konnte ihnen nicht die Wahrheit erzählen. Es war ihre Pflicht, das nicht zu tun.
»Was machst du eigentlich?«, bohrte Angie nach. »Wo warst du?«
»An irgendeinem exotischen Ort, das ist alles.«
»Wo?«
»Miss Angie, wie oft hab ich Ihnen gesagt: ›Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul‹?«, mahnte Nanny und strich über die weiche Wolle ihres Schals. »Es steht uns nicht an, das zu wissen.«
»Ich bring es wieder zurück, wenn du es nicht willst«, sagte Bea mit einem Lächeln. Sie hatte gewusst, dass sie es riskierte aufzufallen, indem sie die Geschenke kaufte, doch sie hatte nicht widerstehen können.
»Du sagst es uns also nicht!«, rief Angies entrüstet. »Aber was hast du dir selbst mitgebracht? Das hast du doch bestimmt!«
Beatrice holte aus ihrem Koffer einen in Seidenpapier verpackten Karton hervor. Sie öffnete das Paket und schüttelte ein langes, seidenes Kleid heraus. Ein herrlicher Duft von Chanel wehte durch die Luft.
»Oh, wie wunderschön!«, hauchte Angie und befühlte das weiche Gewebe. »Es ist der falsche Schnitt für mich, aber an dir wird es traumhaft aussehen.«
Beatrice hatte das Kleid eine Zeitlang im Schaufenster bewundert, bevor sie sich ein Herz gefasst und den Laden betreten hatte. Es war ein schwarz-goldenes Abendkleid aus hauchzartem Stoff, das sich in ihrem Gepäck zu einem Nichts zusammenfalten ließ. Als sie es im Ankleideraum anprobierte, hatte es ihr so perfekt gepasst, als sei es eigens für sie angefertigt worden. »Ich nehme es«, hatte sie der schmallippigen Verkäuferin in einer Wolke der Euphorie mitgeteilt. Beim Bezahlen hatte sie versucht, nicht daran zu denken, dass sie ihr die Hälfte des Geldes überreichte, das man ihr für Notfälle mitgegeben hatte. Sie würde es ihnen schon irgendwie zurückzahlen.
Später hörte sie, dass ihre Mission wichtig gewesen war. Weil sie die Karte nach Paris gebracht hatte, war es der Résistance gelungen, eine Brücke über der Seine in die Luft zu sprengen, und damit war eine wichtige Route für das Vorrücken der deutschen Panzer zerstört.
Auch erfuhr sie, dass das Modegeschäft, in dem sie ihr Kleid gekauft hatte, häufig von Nazi-Offizieren aufgesucht wurde, die Geschenke für ihre Geliebten kauften. Kein Wunder, dass Madame sie so frostig angesehen hatte.
Im März und April 1943 flog Beatrice im nächtlichen Mondlicht noch zu zwei weiteren Missionen in die Normandie. Beim ersten Mal war sie wieder Juliette. Sie blieb einen Monat dort und arbeite als Kurierin für einen britischen Agenten, der Henri genannt wurde, und für seinen Funker Georges. Ihre Aufgabe bestand darin, Botschaften zwischen zwei Résistance-Gruppen in der Gegend zu übermitteln. Diese Gruppen, so fand sie heraus, planten, ein Waffendepot der Nazis zu zerstören, und waren kurz davor, den Anschlag auszuführen.
Irgendwann bemerkten zwei Gestapo-Offiziere, dass ein hübsches dunkelhaariges Mädchen regelmäßig aus einem fünfzehn Meilen entfernten Städtchen nach Rouen radelte
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