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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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sie über die Zeit gesprochen, als sie noch jünger war. Ich vermute, ihre Mutter und ihr Vater waren glücklicher miteinander, als sie noch in London lebten. Sie hat Tanzunterricht genommen, tolle Kinderfeste mit Zauberkünstlern und Vorführungen mit Wunderlampen erlebt, und sie hatte hübsche Kleider.« Sie wollte Beatrice nicht erzählen, dass Granny Angelina nie erwähnt hatte, dass sie gemeinsam mit einer schüchternen kleinen Halbfranzösin unterrichtet worden war.
    »Vielleicht brauchen wir alle ein Stück Kindheit, das wir für golden halten – eine Zeit, von der wir uns vorstellen, dass wir vollkommen glücklich waren«, murmelte Beatrice. »Für mich war das jedenfalls Carlyon.«
    »Meine Mum hat mich jeden Sommer nach Wales mitgenommen. Da haben wir dann bei ihren Freundinnen von der Kunstakademie gewohnt«, sagte Lucy gedankenversunken. »Ich habe eine herrliche Zeit mit den Kindern dort verbracht. Du würdest dich wundern, was wir alles angestellt haben! Gegen die Grundschule in London war es das reinste Paradies.«
    »Und wo war dein Vater?«
    »Er hat sich um sein Geschäft gekümmert und sich nie Urlaub gegönnt.«
    »Wir haben all unsere Ferien entweder bei der einen oder anderen Seite der Familie verbracht«, sagte Beatrice. »Mein Vater war am liebsten zu Hause und schätzte es, wenn alles seinen gewohnten Gang ging.«

KAPITEL 7
    Hugh Marlow war nun zwar wieder zu Hause, aber er war furchtbar schwach. Als er nach mehreren Tagen im Bett aufstehen konnte, war er bleich und erschöpft und kaum in der Lage, das Haus zu verlassen. Der Bankdirektor gab sich alle Mühe, die Stelle für ihn frei zu halten. Schließlich wurde Marlow von »unseren nobleren Kunden« geschätzt und war »einer unserer Helden«. Als es ihm ein bisschen besser ging, versuchte Beatrice’ Vater, halbtags zu arbeiten, aber selbst das ermüdete ihn. Als Folge zeigte das Gesicht ihrer Mutter ununterbrochen einen angespannten Ausdruck. Ein- oder zweimal schaute der Doktor vorbei, und dann folgten mehrere Abende, an denen Beatrice wach in ihrem Bett lag, während sich ihre Eltern im Zimmer unter ihr heftig stritten. Eine Bemerkung, die ihre Mutter häufig und mit wachsender Verzweiflung äußerte, lautete: »Schreib ihm bitte, Hugh, und schau einfach, was er sagt.«
    Zu guter Letzt sah es so aus, als sei der schreckliche Brief endlich geschrieben worden. Eines Samstags nämlich brachte der Postbote einen der vertrauten, dicken weißen Briefumschläge mit dem Poststempel von Gloucestershire. Der Brief lag den ganzen Morgen Unheil verkündend auf der Ablage im Flur, bis Mr Marlow von der Arbeit nach Hause kam und ihn öffnete.
    Niemand erzählte Beatrice, was in dem Brief gestanden hatte. Aber bald darauf reichte Hugh Marlow seine Kündigung bei der Bank ein, und die einmal pro Monat eintreffenden weißen Briefumschläge wurden die am meisten erhofften Ereignisse im Haushalt. Beatrice’ Vater öffnete sie stets mit einer Mischung aus Wut und Erleichterung. Es müsse gespart werden, wurde Beatrice erklärt. Es gab weniger gute Fleischstücke vom Metzger, und ein durchgescheuerter Wintermantel wurde notdürftig geflickt, damit er noch ein Jahr hielt. Eine Weile nahm Mrs Marlow Schüler an und unterrichtete sie in französischer Konversation, doch dies beeinträchtigte die neuen Lebensgewohnheiten ihres Mannes so sehr, dass sie es schließlich aufgeben musste. Beatrice spürte, dass die Atmosphäre im Haus immer düsterer wurde und ihre Mutter und ihr Vater sich mehr und mehr miteinander abkapselten. Sie war nur noch zum Unterricht, zu den Mahlzeiten und zum Schlafen zu Hause. Ansonsten kam und ging sie, wie es ihr gefiel.
    Den Großteil ihrer Zeit verbrachte sie auf Carlyon Manor.
    Wenn der Unterricht vorbei war, ritt sie aus. Sie wanderte mit Angie auf den Klippen umher oder begleitete sie und Oenone, wenn sie bei Bekannten in der Gegend zum Tee eingeladen waren. Deren Töchter waren gut erzogene Mädchen vom Land, die von Angies Glanz ziemlich eingeschüchtert waren und nervös vorschlugen, Kribbage oder Krocket zu spielen, während sie ganz richtig vermuteten, dass sie ihre Besucherin aus dem Hause Wincanton langweilten. Es gab auch Geburtstagspartys und, als der Sommer wiederkehrte, Picknicks, zu denen Beatrice manchmal eingeladen war. Doch sie war sich der beschränkten Lebensumstände ihrer Eltern, ihrer schlichten Kleidung und der Tatsache bewusst, dass sie diese Einladungen niemals würde erwidern können. Und sie wusste auch,

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