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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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zukäme, und wenn es einträte, solle sie augenblicklich kommen und es ihr erzählen. Doch es war Angie, die ihr als Erste mit rosigem Gesicht und wichtigtuerisch etwas über »die Regel« zuflüsterte und über die Bauchschmerzen, die damit einhergingen.
    Oktober 1936
    Kurz nach Beatrice’ vierzehntem Geburtstag – die Times war voll von General Francos Siegen in Spanien – erlitt Hugh Marlow einen Herzanfall. Der Arzt, der mitten in der Nacht gerufen wurde, veranlasste, dass er ins Krankenhaus in Truro gebracht wurde, wo er eine Woche blieb. Mrs Wincanton bestand darauf, dass Beatrice derweil in Carlyon wohnte. Außerdem schickte sie jeden Tag ihren Chauffeur zu Mrs Marlow, damit sie den Kranken besuchen konnte.
    Obwohl sich Beatrice Sorgen um ihren Vater machte, genoss sie es, in Carlyon zu leben. Alle behandelten sie ausgesprochen freundlich. Wann immer sie das Mädchen sah, rief Brown: »Kopf hoch, Miss!« Und Mrs Pargeter, die Köchin und Haushälterin, nannte Beatrice ein »armes kleines Lämmchen« und steckte ihr in regelmäßigen Abständen Schokoladekuchen und kandierte Äpfel zu, um »die Stimmung hochzuhalten«.
    Vor allem liebte Beatrice das Ritual des Frühstücks. Sie durfte sich selbst Porridge oder gekochte Eier oder frischen Toast aus den silbernen Schüsseln nehmen, die auf der Anrichte aufgereiht waren, und sich an den großen Tisch mit dem makellos weißen Tischtuch hinsetzen, wo sie wollte. Oenone Wincanton erschien meist erst spät, nach ihrem Ausritt. Sie ließ ihre Handschuhe auf einen Stuhl fallen, nahm ihr Frühstück im Stehen ein oder ging dabei im Raum auf und ab. Anschließend war sie sehr häufig den Morgen über oder den ganzen Tag in geheimnisvoller Mission im Wahlkreis ihres Mannes unterwegs. Manchmal studierte sie beim Kaffeetrinken eine maschinengeschriebene Rede ein und nahm später große Mengen irgendwelcher Schleifen mit.
    Einmal waren die Mädchen mit Miss Simpkins von einer naturkundlichen Wanderung auf den Klippen heimgekehrt und hatte das Haus voller Damen vorgefunden, die schwatzten und Tee tranken. Ein paar von ihnen umringten einen Mann mit ledriger Haut in einem Tweedanzug. Er hatte einen Schnurrbart und trug eine Brille mit Drahtgestell.
    »Das ist Professor Stanley, Mädchen«, sagte Oenone und zog Angie und Beatrice in den Kreis. »Er hat uns gerade einen höchst bewegenden Vortrag über die heidnischen Tempel von Ephesos gehalten, nicht wahr, Professor?«
    Die Mädchen nutzten die erstbeste Gelegenheit, um unter Kicheranfällen nach oben zu flüchten. »Es hat sich angefühlt, als würde man einer Fledermaus die Hand schütteln«, verkündete Angie.
    Wenn Beatrice früher in Carlyon über Nacht geblieben war, hatte man ihr ein freies Zimmer gegeben, doch diesmal durfte sie zu ihrer Freude mit in Angies großem Bett schlafen. Sie hatte noch nie mit jemandem ein Bett geteilt – und fand heraus, dass die Dunkelheit eine große Vertrautheit mit sich brachte.
    »Liebst du deinen Vater?«, fragte Angie.
    »Natürlich«, antwortete Beatrice automatisch. Sie hatte bisher noch nie darüber nachgedacht, und jetzt, als Angie sie dazu gebracht hatte, wurde ihr bewusst, dass sie es nicht wusste. Was bedeutete es überhaupt, zu lieben? Natürlich wollte sie nicht, dass er starb. Sie war an seine körperliche Schwäche gewöhnt und daran, dass er viel Aufmerksamkeit verlangte. Ihre Mutter hatte ihr schon oft erklärt, dass ihr Vater während des Krieges das Beste seiner Kraft für sein Vaterland gegeben habe. Er habe seine Pflicht getan und dafür einen hohen persönlichen Preis bezahlt. Der Krieg musste schlimm gewesen sein, wie Beatrice wusste, denn manchmal schrie ihr Vater in der Nacht auf, und einmal war ihre Mutter in ihr Zimmer gekommen, um sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass es nur ein schlechter Traum gewesen war. Aus alledem folgte jedoch, dass Hugh Marlow seiner Tochter nur wenig Aufmerksamkeit widmen konnte. Er war völlig auf seine Frau fixiert, und die unendlich geduldige Delphine versuchte, alle seine Bedürfnisse zu erfüllen. Beatrice hatte noch nie über ihre Beziehung zu ihrem Vater nachgedacht. Nur eines wusste sie mit Sicherheit: Sie liebte ihre Mutter.
    »Warum – du nicht?«, flüsterte Beatrice zurück. »Ob du deinen Vater liebst, meine ich – nicht meinen.«
    »Klar«, sagte Angie mit heiserer Stimme. »Aber ich seh ihn ja nie! Na ja, fast nie. Früher haben wir immer in London gewohnt. Wir haben da ein großes weißes Haus mit Aussicht

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