Das Bienenmaedchen
auf einen schönen Park, wo wir oft mit Nanny gewesen sind. Aber dann ist alles schiefgegangen. Ed sagt, dass sie sich gestritten haben, und dann haben sie vereinbart, dass wir alle die meiste Zeit hier leben sollten. Das ist nicht fair! Ich meine, ich finde es schön hier, vor allem jetzt, wo ich dich kennengelernt habe, aber ich mag London wirklich. In der Stadt ist immer etwas los, und es gibt ganz viele andere Kinder und wunderbare Partys, viel besser als hier. Und die Geschäfte … Du solltest die Geschäfte sehen, voll von allen Dingen, die du dir nur vorstellen kannst! Hübsche Kleider und Spielsachen. Und Mummy hat uns oft zum Tee mitgenommen, in herrliche Hotels wie das ›Brown’s‹ und das ›Claridge’s‹. Bestimmt vermisst sie das alles. Aber ich, ich vermisse meinen Vater so sehr, dass ich manchmal weglaufen und mit dem Zug nach London fahren möchte, um bei ihm zu sein.«
»Warum tust du’s nicht?«, fragte Beatrice, die von dieser Idee begeistert war.
»Als ob ich das Geld dafür hätte!«, antwortete Angie. »Egal, er würde mich ohnehin zurückschicken müssen. Ich könnte nicht mit ihm ganz allein leben. Obwohl Ed gesagt hat, dass er mal da war, als er von der Schule beurlaubt war. Beim Abendessen sei Daddy nicht allein gewesen – es gebe dort eine Frau namens Grace. Ich frage mich, ob Mummy von Grace weiß. Ed hat gesagt, ich soll es ihr nicht erzählen.«
Angie seufzte in der Dunkelheit. Beatrice überlegte, was sie sagen sollte. Die Welt der Erwachsenen glitt jenseits ihres Vorstellungsvermögens dahin – voller Geheimnisse und Rätsel. Nach einer Weile bemerkte sie, dass Angie weinte.
»Oh, nicht weinen«, flüsterte sie und legte ihr die Hand auf die Schulter. Zu ihrer großen Freude rutschte Angie zu ihr hinüber und lag dann leise schluchzend in ihren Armen. »Ich bin mir sicher, dass alles in Ordnung ist. Bestimmt kann er nur nicht so oft herkommen, weil er zu beschäftigt ist. Das hast du doch selbst gesagt.«
»Aber ich vermisse ihn so schrecklich«, brachte Angie hervor und schluckte. »Wenn du ihn kennenlernen würdest, könntest du das verstehen.«
Beatrice dachte an ihren eigenen Vater. Doch sie konnte sich nur an den mürrischen Blick erinnern, mit dem er sie in der letzten Woche, bevor er krank geworden war, angesehen hatte. Er war überraschend nach Hause gekommen und auf dem Ball ausgerutscht, mit dem sie und Jinx im Flur gespielt hatten. Seit seinem Herzanfall hatte sie ihn nicht gesehen – ihre Mutter hatte befunden, dass ein Krankenhaus »kein Ort für ein Kind« sei. Sie versuchte, sich eine Träne für ihn herauszuquetschen – nur eine einzige Träne –, und stellte sich ihn vor, wie er da bleich und irgendwie totenähnlich in einem schmalen Bett mit frischen weißen Laken lag. Aber erst, als sie sich an das besorgte Gesicht ihrer Mutter erinnerte, kamen ihr die Tränen.
Während dieses Aufenthalts begegnete sie Angies Vater zum ersten Mal. Er traf eines Nachmittags ein und brach sofort wieder auf. Seine Frau erklärte den Kindern, er nehme im Ort an einer Versammlung von Bergleuten teil, bei der es um die geplante Schließung einer Zinnmine ging. Kurz vor dem Abendessen kehrte er zurück. Als Beatrice ihm vorgestellt wurde, bekam sie einen solchen Anfall von Schüchternheit, dass sie ihm nur mit hochrotem Kopf die Hand schütteln und Fragen mit Ja oder Nein beantworten konnte.
Sie war noch nie jemandem begegnet, der eine derart starke körperliche Präsenz und den Eindruck von Autorität ausstrahlte, und sie fand das ziemlich aufregend. Schließlich nahm sie ihren Mut zusammen und begegnete seinem Blick – sie entdeckte Humor in seinen haselnussbraunen Augen, und Wärme.
Am nächsten Morgen reiste er wieder nach London ab. Am späten Nachmittag rief Mrs Wincanton Beatrice in den Salon.
»Setz dich einen Moment«, sagte sie. »Ich möchte mit dir reden. Hat es dir gefallen, bei uns zu wohnen?«
»Oh ja«, antwortete Beatrice. »Es war schön.«
»Also, wir haben es genossen, dich hier zu haben«, murmelte Mrs Wincanton und lächelte. »Aber es freut dich bestimmt zu erfahren, dass du wieder nach Hause kannst. Vor ein paar Minuten hat deine Mutter aus dem Krankenhaus angerufen und gesagt, dass dein Vater entlassen wurde. Also musst du jetzt hochrennen und deine Sachen packen. Pengelly wird dich nach dem Tee heimfahren.«
Beatrice’ Gesicht musste ihre Traurigkeit verraten haben, denn Mrs Wincanton sah sie zärtlich an und fragte: »Möchtest du nicht
Weitere Kostenlose Bücher