Das Bienenmaedchen
Leute nicht so oft, wie sie es gerne hätten. Der alte Herr ist jetzt ebenfalls aus Indien nach Hause gekommen. Sein Regiment hat hier in London einen Schreibtischjob für ihn gefunden. Ich vermute, früher oder später wird irgendwas passieren – alle sagen das –, und dann kommen die Dinge vielleicht in Schwung. Ich wünschte, es würde losgehen, wenn es denn wirklich passieren muss. Diese Warterei macht alle fertig.
Sag mir Bescheid, wenn Du mal nach London kommst, und ich werde schauen, ob wir uns treffen können.
Wie immer der Deine,
Rafe.
Sie las den Brief mehrmals, sagte »Wie immer der Deine« vor sich hin und versuchte, aus diesen Worten eine Bedeutung herauszupressen.
Zwei Wochen später, Anfang September, ging Rafes Wunsch in Erfüllung: Hitlers Panzer rollten in Polen ein, und die Alliierten übermittelten ihr Ultimatum. Zwei lange Tage vergingen, und die Welt hielt den Atem an.
Der 3. September, ein Sonntag, war ein herrlicher sonniger Tag. Beatrice begleitete ihre Mutter zum Gottesdienst, den Delphine in letzter Zeit regelmäßig besuchte. Sie verließen die anglikanische Kirche, als die Turmuhr elf schlug, und stiegen die steilen Stufen hinauf, die aus dem Ort zu ihrem Haus führten. Beatrice blickte hoch und sah Hugh Marlow, der dort oben in offensichtlicher Aufregung hin und her lief.
»Beeilt euch!«, schrie er ihnen zu. »Um Himmels willen, schnell, schnell!«
»Was ist denn los, Hugh?«, rief Delphine.
Doch er antwortete nicht. Er starrte wild zum Himmel und gestikulierte wie verrückt in ihre Richtung.
»Was ist los?«, keuchte Delphine, als sie oben angekommen war.
»Habt ihr es nicht gehört, verdammt? Wir haben Krieg! Ich hab alle Fenster verrammelt. Ich glaube, dass sie bald hier sein werden.« Er schaute auf die Uhr und richtete den Blick wieder auf den Horizont. Beatrice und Delphine schauten ebenfalls. Der Himmel zeigte ein tiefes, herrliches, leeres Blau – den ganzen Weg bis zur Ewigkeit.
Unten im Städtchen setzte ein furchtbar trauriges Heulen ein. Eine Frau fing an zu kreischen – ein dünner, leidenschaftsloser Ton.
»Das ist die Sirene. Kommt schon!« Er drängte sie ins Haus, wo er ein großes Trara darum machte, dass ihre Gasmasken richtig passten. Dann saßen sie voller Angst im Wohnzimmer und warteten darauf, dass die Bomben fielen. Stattdessen gab es etwa fünfzehn Minuten später Entwarnung. Sie warteten weitere zwanzig Minuten. Kein Dröhnen von Flugzeugmotoren, keine Explosionen. Nichts geschah.
»Also, das war’s, Beatrice. Du gehst nicht an die Schule zurück.« Ihr Vater war vor Erschöpfung ganz weiß im Gesicht, aber sein Blick war triumphierend. Endlich passierte etwas in seinem ruhigen, abgesonderten Leben!
Sie würde schließlich doch zurückgehen, allerdings erst, als offensichtlich war, dass die Bomben in absehbarer Zeit nicht kommen würden.
In den nächsten Tagen machten erst einmal alle einen wahnsinnigen Wirbel, um sich auf die Bomben vorzubereiten. Die Brookers liehen den Andersons ihren Gärtner aus, damit er in deren Garten einen Bunker anlegte. Die Köchin stellte Eimer mit Wasser in jeden Raum – ob das gegen Gasangriffe oder Feuer helfen sollte, wusste sie selbst nicht. Jinx verursachte eine regelrechte Schweinerei, als er aus den Eimern trank. Mrs Marlow hortete im Gartenhäuschen Konservenbüchsen und Flaschen und kochte in großen Einmachtöpfen Marmelade aus Brombeeren und Äpfeln.
Eine Woche später kamen zwei Dutzend Evakuierte mit dem Zug aus London an.
»Wir nehmen keinen auf«, sagte Hugh Marlow und knallte den Marmeladentopf auf den Frühstückstisch. »Nicht bei meinem Zustand. Es gibt jede Menge andere Leute, die eher jemanden aufnehmen können als wir.«
»Oh, Hugh!« Das war alles, was Delphine sagte, als sie ihre Serviette mit einem lauten Schlag ausbreitete. Sie sah ihn nicht an. Später brachte sie ihm wortlos seinen Kaffee und knallte anschließend die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich zu. Am Vormittag verließ sie das Haus. Als sie zurückkam, hatte sie einen mageren fünfjährigen Jungen mit einer operierten Hasenscharte an der Hand. Beim Anblick von Jinx gab der Junge ein erschrockenes Wimmern von sich und versteckte sich hinter Mrs Marlows Röcken.
»Das ist Jamie«, sagte sie trotzig zu ihrem Mann und ihrer Tochter. »Er war als Einziger noch übrig. Jemand musste ihn nehmen, Hugh, und ich weiß, was meine Pflicht ist.«
Erstaunt musterte Beatrice die kleine dünne Gestalt mit der fahlen
Weitere Kostenlose Bücher