Das Bienenmaedchen
Schuhkarton zurück. »Unser Leben musste schließlich so weitergehen, wie wir es gewohnt waren, und diese Debütantinnen hatten alle das Gefühl, dass es ihr besonderer Moment war. Dafür waren sie erzogen worden. Aus der Rückschau fällt es leicht, das zu missbilligen. Meine Eltern haben sich immer sehr für die politische Situation interessiert. Viele Leute waren nicht so gut informiert. Im Laufe des Jahres hat sich dann eine seltsame Atmosphäre entwickelt – im Radio, oder wenn man mit den Leuten sprach. Es war, als ob wir gewusst hätten, dass wir auf eine Katastrophe zusteuerten und nichts dagegen tun konnten.«
»Irgendwo habe ich gelesen, dass sich die Menschen in solchen Situationen manchmal gierig ins Leben stürzen und nur noch für den Moment leben«, sagte Lucy.
»Wahrscheinlich. Die Gefahr verleiht allem eine Dringlichkeit. Und so haben die Debütantinnen getanzt und geflirtet, und ich, die nur lesen konnte, was Angie mir darüber schrieb, hab das alles vermisst.«
Juli 1939
Inzwischen hatte Rafe seit zwei Monaten nicht mehr geschrieben, nur eine Postkarte von der Nelsonsäule war Ende Juni in Beatrice’ Schule angekommen. Auf die Rückseite hatte er gekritzelt: »Hoffe, alles ist gut, habe eine fantastische Zeit, werde bald schreiben.« Das hatte fälschlicherweise Beatrice’ Erwartungen geweckt. Sie hatte ihm sofort zurückgeschrieben, einen langen, geschwätzigen Brief über ihr Schulleben. Von da an wartete sie jeden Tag auf Antwort. Als diese ausblieb, war sie sehr niedergeschlagen. Dann endete das Trimester, und ihr Vater kam, um sie zu abholen.
Zu Hause war es langweilig. Ihre Eltern freuten sich natürlich, sie zu sehen, aber sie hatten sich daran gewöhnt, dass sie nicht mehr da war. Delphine benutzte Beatrice’ Zimmer als Lagerraum. Im Schrank hing ein merkwürdiger, eingemotteter Wintermantel, und in den Kommoden lagen Stapel von Pariser Modemagazinen – die persönliche Schwäche ihrer Mutter. Beatrice traf ein oder zwei Bekannte, mit denen sie Tennis spielte, und trainierte die Pferde für den alten Harry, aber ohne die Wincantons kam ihr Saint Florian leer vor.
Eine Woche später lag ein Brief von Angie auf der Fußmatte. Als Beatrice ihn aufhob, überkam sie ein Gefühl unguter Vorahnung. Draußen hörte sie das schwermütige Pfeifen des Postboten und das Quietschen der Gartenpforte.
»Ich geh mit Jinx spazieren«, rief sie ihrer Mutter zu. Aus einer Laune heraus machte sie sich nicht auf den Weg zum Strand, sondern ging oben am Tennisclub vorbei, wo ein Pfad an einem Feld mit reifendem Getreide entlangführte. Bei den Tennisplätzen stand eine einsame Bank, auf die sie sich setzte und den Brief hervorholte. Hinter ihr zog Mr Varcoe, der Platzwart, die Linien auf den Grasplätzen nach.
Der Umschlag, der nach Parfüm und steifer Eleganz roch, ließ sich leicht öffnen. Sie las den Brief zwei Mal, was notwendig war, denn die Sätze wanderten in Angies nachlässiger Manier umher.
Liebste Bea,
danke für Deinen Brief letzte Woche. Es ist eine seltsame Vorstellung, dass Du wieder in Cornwall bist. Wie geht es Cloud und Nutmeg und Jezebel? Ich vermisse sie, aber ich bin doch lieber hier. Du würdest nicht glauben, was für eine herrliche Zeit ich verbringe! Gestern Abend war Tanz bei Katie Halpern in einem wunderschönen Garten in der Nähe des Hyde Park – mit Streichern und Ketten von goldenen und silbernen Laternen und einer Kapelle auf einem Podest, wie ein Boot in der Mitte von einem winzigen künstlichen See. Am Abend zuvor haben wir im Regent’s Park Ein Sommernachtstraum aufgeführt. Natürlich habe ich mir gewünscht, dass ich damals ein bisschen besser aufgepasst hätte, als wir das Stück mit Miss Simpkins gelesen haben, aber mal ehrlich, damals kam es mir schwierig und langweilig vor, und nicht magisch und lustig. Ich muss Dir erzählen, dass ich bei den Festen oft Rafe und seinen Bruder treffe. Sie sehen beide unglaublich schneidig aus in ihren Offiziersuniformen. Gerald ist schon Captain, und eine Menge Mädchen sind verrückt nach ihm, aber es wird gemunkelt, dass er sich mit Katie verlobt. Rafe ist schrecklich süß zu mir, und wir sprechen oft von Dir. Mummy hat darum gebeten, dass Carlyon Anfang August für uns vorbereitet wird, und so freue ich mich darauf, Dich dann ein paar Tage zu sehen!
Beatrice saß eine Weile da und hing ihren Gedanken nach. Erst allmählich nahm sie wieder die Geräusche des Sommers um sich herum wahr. Die Vögel sangen, Mr Varcoe
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