Das Bienenmaedchen
Großstadthaut. Doch noch erstaunlicher war es, dass sich ihre Mutter zum ersten Mal in ihrer Ehe offen gegen ihren Vater gestellt hatte.
Hugh Marlow warf seiner Frau nur einen stechenden, feindseligen Blick zu, marschierte schweigend in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür.
In dieser Nacht machte Jamie ins Bett, und von nun an kam Delphine jeden Morgen mit einem Bündel Wäsche und dem Gesichtsausdruck einer Märtyrerin die Treppe herunter, und Jamie schlich mit einem verheulten Gesicht hinter ihr her. Nach vierzehn Tagen erschien ohne Vorwarnung seine Mutter – eine hagere, spitznasige Frau –, um ihn nach Hause zu holen. Sie hatte die ganze Zeit über nichts von sich hören lassen. Und Hugh Marlow hatte es fertiggebracht, das Kind die ganze Zeit vollkommen zu ignorieren.
England wurde es müde, auf Hitlers Bomben zu warten, und kehrte zurück zu einer Art normalem Leben. Kurz nachdem Jamie wieder weg war, kam ein Brief mit der Ankündigung, dass Larchmont School wieder geöffnet würde. Beatrice, die diesmal mit dem Zug fuhr, um Benzin zu sparen, war sich bewusst, dass sie zu den wenigen Leuten gehörte, die unterwegs eine Gasmaske trugen. Ihr Vater hatte darauf bestanden. Es war der Tag, an dem sie siebzehn wurde.
KAPITEL 12
Im Dezember 1939, gegen Ende des Trimesters, bekam Beatrice einen Brief mit Londoner Poststempel. Sie erkannte die Handschrift sofort – es war die von Oenone Wincanton. Sie schob ihren Toast beiseite und riss den Umschlag auf. Als sie den Brief las, fühlte sie sich erfüllt von Glück.
»Möchtest Du zu uns kommen und vor Weihnachten ein paar Tage bei uns in Queen’s Gate wohnen?« , schrieb sie. »Ich glaube, es würde Angelina guttun, Dich zu sehen, und natürlich würden wir alle das Vergnügen Deiner Gesellschaft genießen. Letzte Woche habe ich Deiner Mutter geschrieben und heute Morgen ihre Antwort erhalten – sie ist einverstanden. Vielleicht kann Deine Tante Dich begleiten, wenn Du Dir ein paar Sachen kaufst. Sag bitte, dass Du kommst!«
Briefe flogen hin und her, und alles war schnell arrangiert. Dann schrieb Beatrice an Rafe.
»Ich komme für ein paar Tage nach London. Kannst Du Dich irgendwie loseisen? Ruf mich bei den Wincantons an. Ich bin sicher, Sie haben nichts dagegen.«
Sie tauchte den Füllfederhalter in das Tintenfass, dachte einen Augenblick nach und fügte anschließend kühn hinzu: »Es wäre so schön, Dich wiederzusehen!« Dann unterschrieb sie rasch: Mit freundlichen Grüßen …«
Sie brachte den Brief heimlich selbst zum Briefkasten: Das war ihr lieber, als ihn auf das Tablett im Korridor zu legen, wo die anderen Mädchen ihn vielleicht bemerken und sie deswegen aufziehen würden. Würde der Brief Rafe erreichen und er ihr überhaupt antworten? Sie hatte eine Weile nichts mehr von ihm gehört.
Ihr großer Koffer für zu Hause war gepackt und schon auf dem Weg nach Cornwall. Sie war ein bisschen bedrückt, weil ihr kleiner Koffer für London ziemlich mager bestückt war. Das einzige Abendkleid, das sie bei sich hatte, war viel zu schlicht für London – ihr zauberhaftes festliches Kleid hatte sie in Cornwall zurückgelassen, weil es viel zu auffällig für die Wochenenden bei ihren Großeltern gewesen wäre. Aber angenommen, sie würden außer Haus speisen oder zu einer Veranstaltung gehen – was dann?
Tante Julia, eine Frau mit Urteilsvermögen, löste das Problem. Als sie Beatrice im Zug nach London gegenübersaß, lehnte sie sich plötzlich vor. Die Augen in ihrem hübschen, mädchenhaften Gesicht blitzten, als sie sagte: »Ich möchte dir etwas Nettes zum Anziehen kaufen. Ein kleines Weihnachtsgeschenk, wenn du so willst.«
In Paddington führte Julia ihre Nichte gleich zu einem wunderbaren Geschäft in der Bond Street, das mit Sandsäcken geschützt war. Ohne nennenswerte Schwierigkeiten fanden sie für Beatrice ein figurbetontes Abendkleid in blassbraunem Seidenatlas und ein Paar weiße Spitzenhandschuhe. Von diesem Erfolg beflügelt, fuhren sie mit dem Bus zu Harrod’s, wo es zu ihrem Entzücken viele der weihnachtlichen Köstlichkeiten – Nüsse, Früchte, Süßigkeiten – zu erschwinglichen Preisen gab. Tante Julia brauchte eine Weile, um Puppen für ihre Töchter und eine kleine Dampfmaschine für ihren Sohn auszusuchen, und Beatrice kaufte von ihrem Taschengeld hübsche Dosen mit Konfekt, eine Ergänzung zu den Geschenken, die sie im Nähunterricht für ihre Familie angefertigt hatte.
Es war ihr erster richtiger Aufenthalt in
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