Das Bild
schwenkte den Schocker
vor sich hin und her. »Willst du eine Kostprobe, Gertie?
Kannst ruhig kommen und sie dir holen, weil du sie bekommen wirst, ob du willst oder …«
Er verstummte und sah zweifelnd zur Ecke des Gebäudes.
Aus der Richtung riefen Frauen aufgeregt und erschrocken
durcheinander. Sie waren noch ein gutes Stück entfernt,
kamen aber langsam näher.
Gert nutzte den Augenblick seiner Unaufmerksamkeit,
wich einen Schritt zurück, packte die Haltegriffe des umgestürzten Rollstuhls und zog ihn hoch. Sie stellte sich dahinter, und die Griffe des Stuhls verschwanden völlig in ihren
großen, braunen Fäusten. Sie setzte Norman mit ruckartigen
Bewegungen nach.
»Ja, komm nur«, sagte sie. »Komm her, Nierentyp. Komm
her, Feigling. Komm schon, Schwuchtel. Willst mir eine verpassen, was? Hast du deinen Phaser auf Betäubung gestellt,
ja? Komm schon, los. Ich glaube, wir haben noch Zeit für
einen letzten Tango, bevor die Männer mit den weißen Kitteln kommen und dich nach Sunnydale Acres bringen, oder
wo man kranke Wichser wie dich auch immer hinschaffen -«
Er stand auf, sah wieder dorthin, von wo die Stimmen
erklangen, und Gert dachte: Zum Teufel, ich hob nur ein Leben,
laß es mich eben als Blondine leben, und rammte den Rollstuhl,
so fest sie konnte, gegen ihn. Er traf ihn mit voller Wucht,
und Norman klappte wieder mit einem Aufschrei zusammen. Gert stürzte sich auf ihn und hörte Cynthias tränenerstickten, zitternden Schrei einen Augenblick zu spät:
»Paß auf, Gert, er hat das Ding immer noch!«
Ein leises, aber teuflisches Surren ertönte Siiiiiit! -, dann
schoß ein Blitzschlag verchromter Schmerzen von Gerts
Knöchel, wo er den Schocker angesetzt hatte, bis zu ihrer
Hüfte hinauf. Die Tatsache, daß ihre Haut naß vom Urin war,
machte Normans Waffe wahrscheinlich um so wirksamer.
Die Muskeln in ihrem linken Bein verkrampften sich, daß ihr
die Tränen in die Augen schossen, dann versagten sie ihren
Dienst vollkommen. Gert fiel zu Boden. Dabei packte sie den
Arm, mit dem er den Schocker hielt, und drehte ihn so fest sie
konnte herum. Norman heulte vor Schmerzen und trat mit
beiden Beinen um sich. Ein Fuß verfehlte sie ganz, aber der
andere traf sie mit dem Absatz mitten in den Solarplexus,
direkt unterhalb der Brüste. Der Schmerz kam so plötzlich
und heftig, daß Gert ihr Bein zumindest vorübergehend vergaß, aber sie hielt den Schocker fest und drehte ihm den Arm
weiter um, bis sich seine Hand öffnete und das bösartige
Gerät auf dem Boden fiel.
Er kroch von ihr weg; Blut blubberte aus seinem Mund
und floß in feinen Tropfen aus seiner Nase. Seine Augen
waren groß und ungläubig; die Vorstellung, daß ihm eine
Frau das alles angetan hatte, bekam er nicht auf die Reihe, konnte er wahrscheinlich nicht auf die Reihe bekommen. Er
stand taumelnd auf, sah dorthin, von wo sich die Stimmen
näherten - sie waren jetzt sehr nahe - und floh dann am Bretterzaun entlang zurück auf den Freizeitpark zu. Gert glaubte
nicht, daß er weit kommen würde, bevor er dem Wachpersonal des Parks auffiel; er sah aus wie ein Komparse aus einem
Film der Freitag der 13. -Serie.
»Gert…«
Cynthia weinte und versuchte, zu Gert zu kriechen, die
auf der Seite lag und dem fliehenden Norman nachsah. Gert
drehte sich zu dem Mädchen um und stellte fest, daß er sie
schlimmer verprügelt hatte, als sie zuerst dachte. Ein Bluterguß wie eine Gewitterwolke erblühte über ihrem rechten
Auge, und ihre Nase würde wahrscheinlich nie wieder wie
früher aussehen, egal wie viele Ärzte daran arbeiten würden.
Gert rappelte sich auf die Knie hoch und kroch auf Cynthia
zu. Sie trafen sich und umarmten einander, schlangen die
Arme um sich, damit sie nicht umkippten. Cynthia sagte
unter großer Anstrengung mit ihren geschwollenen Lippen:
»Ich hätte ihn selber zu Boden geworfen… wie du es uns beigebracht hast… aber er hat mich überrascht.«
»Schon gut«, sagte Gert und küßte sie sanft auf die Schläfe.
»Bist du schwer verletzt?«
»Weiß nicht … huste kein Blut … Schritt in die richtige
Richtung.« Sie versuchte zu lächeln. Es bereitete ihr eindeutig Schmerzen, aber sie versuchte es trotzdem. »Hast ihn
vollgepißt.«
»Ja, hab ich.«
»Verdammt gut«, flüsterte Cynthia und fing wieder an zu
weinen. Gert nahm sie in die Arme, und so fand die erste
Gruppe Frauen sie, dicht gefolgt von zwei Wachmännern
des Piers: auf den Knien zwischen der Rückwand der Toilette
und dem umgestürzten Rollstuhl, jede mit dem Kopf an
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