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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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bepflanze ihn.« Dann machte sie etwas, bei dem Rosie
sich vorkam, als wäre sie in einem Roman von »Richard
Racine« geraten: Sie beugte sich nach vorn und küßte den
Toten auf den Mund. Schließlich wich sie zurück, nahm ihn
auf die Arme, stand auf und drehte sich zu der weißen Marmortreppe um, die in die Erde hinabführte.
Rosie wandte sich mit klopfendem Herzen ab.
»Angenehme Träume, du Sohn eines Dreckskerls«, sagte
Rose Madder und warf Normans Leichnam unter dem Wort
LABYRINTH in die Dunkelheit hinab.
Wo möglicherweise die Samen, die sie gepflanzt hatte,
Wurzeln schlagen und aufgehen würden.
13
    »Geh den Weg zurück, den du gekommen bist«, sagte Rose
Madder. Sie stand an der Treppe; Rosie am anderen Ende der
Lichtung, wo der Pfad begann, und drehte ihr den Rücken
zu. Sie wollte nicht einmal das Risiko eingehen, einen Blick
auf Rose Madder zu werfen, und sie hatte festgestellt, daß sie
ihren Augen nicht mehr uneingeschränkt vertrauen konnte,
was das Befolgen von Anweisungen betraf. »Geh zurück zu
Dorcas und deinem Mann. Sie hat etwas für dich, und ich
möchte auch noch mit dir reden … aber nur kurz. Dann ist
unsere Zeit zu Ende. Ich glaube, für dich wird es eine Erleichterung sein.«
    »Er existiert nicht mehr, oder?« Rosie fragte und sah
unverwandt auf den Weg im Mondlicht. »Wirklich nicht
mehr.«
    »Ich nehme an, du wirst ihn in deinen Träumen sehen«,
sagte Rose Madder wegwerfend, »und wenn schon? Es ist
schlicht und ergreifend so, daß böse Träume besser sind als
ein böses Erwachen.«
»Ja. Ich glaube, das ist eine Erkenntnis, die die meisten
    Menschen einfach übersehen.
»Geh jetzt. Ich komme zu dir. Ach, Rosie?«
»Was?«
    »Vergiß nicht den Baum.«
»Den Baum? Ich verstehe n -«
»Das weiß ich. Aber du wirst verstehen. Vergiß nicht den
Baum. Und nun geh.«
Rosie ging. Und drehte sich nicht um.
X
     
Rosie Richtig
     
1
    Bill und die Frau - Dorcas, ihr Name war Dorcas, und doch
nicht Wendy - standen nicht mehr auf dem schmalen Weg
hinter dem Tempel, und Rosies Kleidungsstücke waren
ebenfalls verschwunden. Allerdings machte sich Rosie deswegen keine Sorgen. Sie stapfte lediglich um das Gebäude
herum, schaute den Hügel hinauf, sah sie neben dem Pferdewagen stehen und ging zu ihnen.
    Bill kam ihr entgegen, sein blasses, abgespanntes Gesicht
sah besorgt aus. Angesichts der Tatsache, daß er wahrscheinlich glaubte, er habe den Verstand verloren, fand Rosie das
rührend.
    »Rosie? Alles in Ordnung?«
»Bestens«, sagte sie und legte das Gesicht an seine Brust.
Als er den Arm um sie legte, fragte sie sich, wie viele Mitglieder der menschlichen Rasse das Umarmen verstanden wie gut es tat, und daß man es manchmal stundenlang ohne
Unterbrechung tun wollte. Sie glaubte, daß einige es verstanden, hatte aber ihre Zweifel, ob sie in der Mehrzahl waren.
Wenn man eine Umarmung wirklich zu schätzen wußte,
mußte man vielleicht lange darauf verzichtet haben.
Sie gingen zu Dorcas, die dem Pferd das weißgefleckte
Maul streichelte. Das Pferd hob den Kopf und sah Rosie
schläfrig an.
»Wo ist…« begann Rosie, dann verstummte sie. Caroline, hätte sie fast gesagt. Wo ist Caroline? »Wo ist das Baby?«
Dann, kühn: »Unser Baby?«
Dorcas lächelte. »In Sicherheit. An einem sicheren Ort,
keine Bange, Miss Rosie. Deine Kleidung ist hinten auf dem
Wagen. Geh dich umziehen, wenn du magst, Ich wette, du
brennst geradezu darauf, das Ding loszuwerden, das du
trägst.«
»Die Wette würden Sie gewinnen«, sagte Rosie und ging
nach hinten. Sie verspürte ein unvorstellbares Gefühl der
Erleichterung, als sie den Zat nicht mehr auf der Haut spürte.
Als sie den Reißverschluß ihrer Jeans zumachte, fiel ihr ein,
was Rose Madder zu ihr gesagt hatte. »Ihre Herrin hat
gesagt, Sie haben etwas für mich.«
»Oh!« sagte Dorcas erschrocken. »Oh je. Wenn ich das vergessen hätte, würde sie mir die Haut abziehen!«
Rosie nahm ihre Bluse, und als sie sie über den Kopf zog,
hielt Dorcas ihr etwas hin. Rosie nahm es, hielt es neugierig
hoch und neigte es hierhin und dorthin. Es war eine kunstvoll gefertigte kleine Keramikflasche, nicht viel größer als
eine Augentropfenpipette. Ihre Öffnung war mit einem winzigen Korken verschlossen.
Dorcas sah sich um, sah Bill ein Stück entfernt stehen, wo
er verträumt zu der Tempelruine hinabschaute, und schien
zufrieden zu sein. Als sie sich wieder zu Rosie umdrehte,
sprach sie mit einer leisen, aber nachdrücklichen Stimme.
»Ein Tropfen. Für ihn.

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