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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Comedy-Serie im Fernsehen gespielt hatte. Die strenge
Kombination aus weißer Bluse und schwarzem Hosenanzug
betonte die Ähnlichkeit noch mehr, und Rosie näherte sich
dem Schreibtisch nur zögernd. Sie war mehr als halb überzeugt, daß sie nun, nachdem sie gegessen und ein paar Stunden geschlafen hatte, wieder auf die Straße geschickt werden
würde. Sie schwor sich, nicht aufzubrausen oder zu betteln,
sollte das geschehen; immerhin war es ihr Haus, und sie
stand schon mit zwei Mahlzeiten in ihrer Schuld. Und sie
mußte sich keinen Platz auf dem Boden des Busbahnhofs
erkämpfen, jedenfalls noch nicht
- sie hatte immer noch
genug Geld für ein paar Nächte in einem billigen Hotel oder
Motel. Es könnte schlimmer sein. Viel schlimmer.
Sie wußte, daß das alles richtig war, aber das spröde Verhalten und die offenen blauen Augen der Frau - Augen, die
im Lauf der Jahre Hunderte Rosies kommen und gehen gesehen haben mußten - schüchterten sie trotzdem ein.
»Setzen Sie sich«, bat Anna, und als Rosie auf dem einzigen Stuhl des Zimmers saß (sie mußte einen Stapel Papiere
herunternehmen und daneben auf den Boden legen - das
nächste Regal war voll), stellte Anna sich vor und fragte
Rosie nach ihrem Namen.
»Ich würde sagen, eigentlich Rose Daniels«, sagte sie,
»aber ich habe mich für McClendon entschieden - meinen
Mädchennamen. Ich glaube, das ist nicht rechtmäßig, aber
ich will den Namen meines Mannes nicht mehr tragen. Er hat
mich geschlagen, darum habe ich ihn verlassen.« Sie überlegte sich, daß sich das anhören mußte, als hätte sie ihn gleich
verlassen, als er es das erstemal getan hatte, und sie griff sich
mit der Hand an die Nase, die sich am Ansatz des Nasenrückens immer noch etwas wund anfühlte. »Aber wir waren
lange verheiratet, bis ich den Mut aufbrachte.«
»Von was für einer Zeitspanne reden wir?«
»Vierzehn Jahre.« Rosie stellte fest, daß sie Anna Stevenson nicht mehr in die offenen blauen Augen sehen konnte.
Sie betrachtete ihre Hände, die sie so fest im Schoß ineinander verkrallt hatte, daß die Knöchel weiß hervortraten.
Jetzt wird sie mich fragen, warum es so lange gedauert hat, bis
ich aufgewacht bin, dachte sie. Sie wird mich nicht fragen, ob es
vielleicht einem perversen Teil von mir gefallen hat, geschlagen zu
werden, aber sie wird es denken.
Aber statt überhaupt nach einem Warum zu fragen, wollte
die Frau wissen, wie lange Rosie schon fort war.
Das war eine Frage, die sie, wie sie feststellen mußte, nur
schwer beantworten konnte, aber nicht nur, weil sie sich jetzt
in der Central Standard Time Zeitzone befand. Die Stunden
im Bus hatten ihr Zeitgefühl, in Verbindung mit dem ungewöhnlichen Schlaf am hellichten Tag, gründlich durcheinandergebracht. »Rund sechsunddreißig Stunden«, sagte sie
nach einigem Kopfrechnen. »So ungefähr.«
»Hm-hmm.« Rosie rechnete immer damit, daß Anna ihr
Formulare reichen oder sie selbst ausfüllen würde, aber die
Frau sah sie nur über die chaotische Topographie ihres
Schreibtisches hinweg unverwandt an. Es war beunruhigend. »Und jetzt erzählen Sie mir davon. Erzählen Sie mir
alles.«
Rosie holte tief Luft und erzählte Anna von dem Tropfen
Blut auf dem Laken. Sie wollte Anna nicht den Eindruck vermitteln, sie wäre so faul - oder verrückt -, ihren Mann nach
vierzehn Jahren zu verlassen, weil sie das Bett nicht frisch
beziehen wollte, hatte aber schreckliche Angst, daß es sich
genau so anhören müßte. Sie sah sich außerstande, die komplexen Gefühle zu erklären, die der Fleck in ihr ausgelöst
hatte, und sie konnte die Wut nicht erklären, die sie überkommen hatte
- eine Wut, die ihr neu und wie ein alter
Freund zugleich vorgekommen war
-, aber sie erzählte
Anna, sie hätte so stark geschaukelt, daß sie beinahe Pus
Stuhl zerbrochen hätte.
»So nenne ich meinen Schaukelstuhl«, sagte sie und errötete so heftig, daß ihre Wangen sich anfühlten, als würden sie
gleich zu rauchen anfangen. »Ich weiß, das ist albern -«
Das tat Anna Stevenson mit einer Handbewegung ab.
»Was haben Sie getan, nachdem Sie beschlossen hatten, zu
gehen. Erzählen Sie mir das.«
Rosie erzählte ihr von der BankCard, und daß sie sicher
gewesen war, Norman würde ahnen, was sie vorhatte, und
nach Hause kommen. Sie brachte es nicht fertig, dieser strengen Schönheit zu sagen, daß sie solche Angst gehabt hatte,
daß sie in einen fremden Garten gegangen war, um zu pinkeln, aber sie berichtete, wie sie die BankCard benutzt, wie viel sie abgehoben

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