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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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hatte und wie sie in diese Stadt gekommen war, weil sie weit genug entfernt zu sein schien und es
nicht mehr lange dauerte, bis der Bus fuhr. Die Worte sprudelten aus ihr heraus, unterbrochen von Perioden des
Schweigens, in denen sie überlegte, was sie als nächstes
sagen sollte, und staunend darüber nachdachte, was sie
getan hatte. Schließlich schilderte sie Anna, wie sie sich heute
morgen verirrt hatte und zeigte ihr Peter Slowiks Karte.
Anna gab sie ihr nach einem raschen Blick darauf zurück.
»Kennen Sie ihn gut?« fragte Rosie. »Mr. Slowik?«
Anna lächelte - doch Rosie fand, das Lächeln hatte einen
bitteren Beigeschmack. »O ja«, sagte sie. »Er ist ein Freund
von uns. Wirklich.«
»Wie dem auch sei, schließlich kam ich hierher«, sagte
Rosie abschließend. »Ich weiß nicht, was als nächstes
kommt, aber soweit habe ich es immerhin geschafft.«
Die Andeutung eines Lächeln umspielte Anna Stevensons
Mundwinkel. »Das haben Sie. Und Sie haben es gar nicht
schlecht angestellt.«
Rosie nahm all ihren verbliebenen Mut zusammen - die
letzten sechsunddreißig Stunden hatten ihr einen Großteil
davon genommen - und fragte, ob sie noch eine Nacht im
Haus von Daughters and Sisters verbringen könnte.
»Sogar viel länger, wenn es erforderlich sein sollte«, entgegnete Anna. »Rechtlich gesehen ist dies ein Asyl - ein privates Frauenhaus. Sie können bis zu acht Wochen bleiben,
und selbst das ist kein festes Limit. In der Hinsicht sind wir
bei Daughters and Sisters ziemlich flexibel.« Sie plusterte
sich ein wenig (und wahrscheinlich unbewußt) auf, als sie
das sagte, und Rosie fiel etwas ein, das sie vor schätzungsweise tausend Jahren im Französischunterricht gelernt hatte: L’etat, c’est moi. Doch dann wurde der Gedanke von Fassungslosigkeit ausgelöscht, als ihr wirklich klar wurde, was
die Frau gesagt hatte.
»Acht… acht…«
Sie dachte an den blassen jungen Mann, der vor dem Eingang des Busbahnhofs Portside gesessen hatte, den mit dem
Schild OBDACHLOS & AIDSKRANK auf dem Schoß, und
plötzlich wußte sie, wie er sich fühlen würde, sollte ihm einmal ein Fremder im Vorbeigehen einen Hundertdollarschein
in seine Zigarrenkiste werfen.
»Pardon, haben Sie acht Wochen gesagt?«
Putzen Sie sich die Ohren, kleine Lady, würde Anna Stevenson gleich schroff sagen. Ich sagte acht Tage. Glauben Sie, wir
würden Ihresgleichen acht Wochen hier wohnen lassen? Seien wir
doch vernünftig, ja ?
Statt dessen nickte Anna. »Aber die wenigsten Frauen, die
zu uns kommen, müssen so lange bleiben«, sagte sie. »Das ist
ein Punkt, auf den wir sehr stolz sind. Und Sie werden letztlich für Unterkunft und Verpflegung bezahlen müssen, aber
wir finden, unsere Preise hier sind ziemlich bescheiden.« Sie
ließ wieder dieses kurze, aufgeplusterte Lächeln sehen. »Sie
müssen wissen, daß die Unterkünfte alles andere als luxuriös
sind. Der größte Teil des zweiten Stocks ist in einen Schlafsaal umgewandelt worden. Er enthält dreißig Betten - nun,
Pritschen -, und zufällig ist eines davon frei, deshalb können
wir Sie aufnehmen. Das Zimmer, in dem Sie heute geschlafen
haben, gehört einer unserer hausinternen Beraterinnen. Wir
haben drei.«
»Müssen Sie niemanden fragen?« flüsterte Rosie. »Meinen
Namen einem Komitee vorlegen, oder so?«
»Ich bin das Komitee«, antwortete Anna, und Rosie dachte
später, daß es wahrscheinlich Jahre her sein mußte, daß diese
Frau zum letztenmal den Unterton von Arroganz in ihrer
eigenen Stimme gehört hatte. »Daughters and Sisters wurde
von meinen Eltern gegründet, die wohlhabend waren. Es
existiert eine großzügige Stiftung. Ich entscheide, wer bleiben darf, und wer nicht… aber die Reaktionen der anderen
Frauen auf potentielle D&S-Kandidatinnen spielen
eine
gewichtige Rolle. Möglicherweise eine entscheidende. Die
Reaktionen auf Sie waren positiv.«
»Das ist gut, oder nicht?« fragte Rosie zaghaft.
»Ja, allerdings.« Anna suchte auf ihrem Schreibtisch,
räumte Unterlagen beiseite und fand schließlich hinter dem
Power Book Computer, der links von ihr stand, was sie
gesucht hatte. Sie hielt Rosie ein Blatt Papier mit dem grünen
Briefkopf von Daughters and Sisters hin. »Hier. Lesen Sie das
durch und unterschreiben Sie. Im Wesentlichen steht darin,
daß Sie bereit sind, sechzehn Dollar pro Nacht zu bezahlen,
Unterkunft und Verpflegung, und daß ein Zahlungsaufschub gewährt wird, sollte es erforderlich sein. Es ist nicht
mal rechtsgültig; nur ein Versprechen. Es wäre

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