Das Bild
gesessen hatte, und viele Frauen hatten
dort wieder gelernt, wie befriedigend es sein konnte, für seinen Lebensunterhalt zu arbeiten. Anna versicherte Rosie,
daß sie nur so schwer arbeiten mußte, wie es ihr Rücken
zuließ, und wenn sich ihr allgemeines körperliches Befinden
in den nächsten einundzwanzig Tagen nicht verbesserte,
würde sie von dem Job befreit und zu Untersuchungen in ein
Krankenhaus gebracht werden.
»Außerdem bekommen Sie eine Frau als Partnerin, die sich
auskennt. Sie wird Ihre Ausbildung übernehmen und für Sie
verantwortlich sein. Wenn Sie etwas stehlen, muß sie dafür
geradestehen, nicht Sie … aber Sie sind keine Diebin, oder?«
Rosie schüttelte den Kopf. »Nur die BankCard meines
Mannes, das ist alles, und die hab ich nur einmal benützt.
Um sicherzustellen, daß ich wegkam.«
»Sie werden im Whitestone arbeiten, bis Sie etwas gefunden haben, das Ihnen mehr zusagt, was ganz sicher geschehen wird - die Vorsehung, vergessen Sie das nicht.«
»Die göttliche Vorsehung.«
»Ja. Wir bitten Sie nur, Ihre Arbeit im Whitestone so gewissenhaft wie möglich zu erledigen - und sei es nur im Interesse aller Frauen, die nach Ihnen kommen. Können Sie mir
folgen?«
Rosie nickte. »Nichts für die Nachfolgerin verderben.«
»Nichts für die Nachfolgerin verderben, genau. Schön,
daß Sie bei uns sind, Rose McClendon.« Anna stand auf und
streckte beide Hände in einer Geste aus, die mehr als nur ein
wenig der unbewußten Arroganz ausdrückte, die Rosie
schon in ihr gespürt hatte. Rosie zögerte, dann stand sie auf
und schüttelte die dargebotenen Hände. Nun hatten sie die
Finger über dem überquellenden Schreibtisch verschränkt.
»Drei Dinge muß ich Ihnen noch sagen«, sagte Anna. »Sie
sind wichtig, also konzentrieren Sie sich und hören Sie mir
gut zu. Können Sie das?«
»Ja«, sagte Rosie. Sie war fasziniert von Anna Stevensons
offenem blauen Blick.
»Erstens, Sie sind keine Diebin, weil Sie die BankCard
genommen haben. Es war ebenso Ihr Geld wie seins. Zweitens, es ist nicht illegal, wenn Sie Ihren Mädchennamen wieder annehmen - der gehört Ihnen Ihr ganzes Leben lang.
Drittens, Sie können frei sein, wenn Sie es wollen.«
Sie machte eine Pause und sah Rosie über ihre verschränkten Hände hinweg mit diesen bemerkenswert blauen Augen
an.
»Haben Sie mich verstanden? Sie können frei sein, wenn Sie
es wollen. Frei von seinen Händen, frei von seinen Gedanken,
frei von ihm. Möchten Sie das? Frei sein?«
»Ja«, sagte Rosie mit leiser, zitternder Stimme. »Das
möchte ich mehr als alles andere auf der Welt.«
Anna Stevenson beugte sich über den Schreibtisch und
küßte Rosie sanft auf die Wange. Gleichzeitig drückte sie
Rosies Hände. »Dann sind Sie an der richtigen Stelle. Willkommen zu Hause, meine Liebe.«
8
Es war Anfang Mai, Frühling, die Zeit, da die Phantasie eines
jungen Mannes sich unbeschwert Gedanken an die Liebe
zuwenden sollte, eine wunderbare Jahreszeit und zweifellos
ein großartiges Gefühl, aber Norman Daniels gingen andere
Dinge durch den Kopf. Er hatte einen Anhaltspunkt gewollt,
einen kleinen Anhaltspunkt, und nun hatte er ihn. Es hatte zu
lange gedauert -fast drei gottverdammte Wochen -, aber
endlich hatte er ihn gefunden.
Er saß achthundert Meilen von der Stelle entfernt, wo seine
Frau gerade Hotelbetten abzog, auf einer Parkbank,ein großer
Mann in rotem Polohemd und grauer Gabardinhose. In einer
Hand hielt er einen fluoreszierenden grünen Tennisball. Die
Muskeln seines Unterarms spannten sich rhythmisch,
während er ihn drückte.
Ein zweiter Mann kam über die Straße, stand am Rand des
Bürgersteigs, sah in den Park, erblickte den Mann auf der
Bank und ging auf ihn zu. Er duckte sich, als ein Frisbee in
der Nähe vorbeisegelte, dann blieb er wie angewurzelt
stehen, als ein deutscher Schäferhund, der dem Frisbee
nachjagte, seinen Weg kreuzte. Dieser zweite Mann war
jünger und schmäler als der Mann auf der Bank. Er hatte ein
hübsches, wenig vertrauenerweckendes Gesicht und einen
schmalen Errol-Flynn-Schnurrbart. Vor dem Mann mit dem
Tennisball in der Hand blieb er stehen und sah ihn unsicher
an. »Kann ich dir helfen, Bruder ?« fragte der Mann mit dem
Tennisball. »Heißen Sie Daniels?«
Der Mann mit dem Tennisball nickte zustimmend.
Der Mann mit dem Errol-Flynn-Schnurrbart deutete über
dieStraße zu einem neuen Hochhaus mit jeder Menge
Winkeln und Glas. »Der Typ da drin hat gesagt, ich soll
rübergehen und mit Ihnen reden. Er
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