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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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anständiger Kerl, der nie jemandem Ärger machte und
nur ein anständiges Leben führen wollte. Aber für die andere Seite
sprach einfach zuviel und für seine Seite praktisch nichts. Die
Geschworenen entschieden, daß er schuldig sei. Der Richter verurteilte ihn zu lebenslänglich, und er wurde nach San Quentin
gebracht.«
Sie sah auf, schlug das Buch zu und hielt es ihm hin.
»Okay?«
Er lächelte sichtlich erfreut. »Ganz ausgezeichnet, Ms.
McClendon. Nun warten Sie … nur noch eine … mir zuliebe …« Er blätterte rasch durch das Buch und gab es ihr
wieder. »Bitte nur den Dialog. Die Szene spielt zwischen
Parry und einem Taxifahrer. Von >Nun, es ist komisch< an.
Sehen Sie es?«
Sie sah es, und diesmal hatte sie keine Einwände. Sie hatte
sich überlegt, daß Lefferts nicht gefährlich war, vielleicht
nicht einmal verrückt. Außerdem verspürte sie dieses seltsame Gefühl der Erregung, als würde gleich etwas wirklich
Interessantes passieren … oder wäre schon im Gange.
Klar, jede Wette, sagte die innere Stimme fröhlich zu ihr. Das Bild, Rosie - weißt du nicht mehr?
Ja, logisch. Das Bild. Wenn sie nur daran dachte, ging ihr
das Herz über, und sie fühlte sich glücklich.
»Das ist sehr merkwürdig«, sagte sie, lächelte aber. Sie
konnte nicht anders.
Er nickte, aber sie vermutete, er hätte genau so genickt,
wenn sie ihm gesagt hätte, ihr Name sei Madame Bovary. »Ja,
ja, ich bin sicher, daß es den Eindruck macht, aber … haben Sie die Stelle, wo Sie anfangen sollen?«
»Hm-hmm.«
Sie überflog den Dialog rasch und versuchte, durch das,
was sie sagten, ein Gefühl dafür zu bekommen, wer diese
Leute waren. Der Taxifahrer war leicht; im Geiste schuf sie
rasch ein Bild von Jackie Gleason als Ralph Kramden in den
Wiederholungen der Honeymooners, die sie nachmittags auf
Kanal Achtzehn zeigten. Parry war etwas schwieriger
-
08 /15-Held, vermutete sie, im Dutzend billiger. Ach was, es
war so oder so nichts Aufregendes. Sie räusperte sich, fing
an, vergaß ziemlich schnell, daß sie mit einem verpackten
Bild unter dem Arm an einer belebten Straßenecke stand
und merkte nichts von den neugierigen Blicken, die sie und
Lefferts auf sich zogen.
>»Nun, es ist komisch<, sagte er Fahrer. >Ich sehe den
Leuten an den Gesichtern an, was sie denken. Ich kann
erraten, was sie tun. Manchmal kann ich sogar sagen, wer
sie sind … bei Ihnen, zum Beispiele
>Na gut, ich. Was ist mit mir?<
>Sie haben Schwierigkeiten^
>Ich hab nicht das geringste Problem<, sagte Parry.
>Das können Sie mir nicht erzählen, Bruder<, sagte der
Fahrer.
>Ich weiß es. Ich kenne die Menschen. Und ich will Ihnen
noch was sagen. Ihr Problem sind Frauen.<
>Erste Niete. Ich bin glücklich verheiratete«
Plötzlich, einfach so, hatte sie die Stimme für Parry: Er war
James Woods, nervös und aufgedreht, aber mit einem grimmigen Sinn für Humor. Das gefiel ihr, und sie las weiter,
erwärmte sich für die Story und sah vor ihrem inneren Auge
eine Szene aus einem Film, der nie gedreht worden war Jackie Gleason und James Woods in einem Taxi, das in der
Dunkelheit durch die Straßen einer anonymen Stadt fuhr.
>»Ich würde sagen, Treffer. Sie sind nicht verheiratet. Aber Sie
waren es, und die Ehe war nicht glückliche
>Oh, ich verstehe. Sie waren dabei. Sie haben sich die ganze Zeit
im Schrank versteckte
Der Fahrer sagte: >Ich will Ihnen erzählen, wie sie war. Es war
nicht leicht, mit ihr auszukommen. Sie wollte hoch hinaus. Und je
mehr sie bekam, desto mehr wollte sie. Und sie bekam immer, was
sie wollte. So sieht es aus.<«
    Rosie hatte das Ende der Seite erreicht. Sie verspürte einen
seltsamen kalten Schauer auf dem Rücken, als sie Lefferts
das Buch gab, der mittlerweile aussah, als wollte er vor
Glück zerspringen.
    »Ihre Stimme ist wunderbar!« sagte er zu ihr. »Tief, aber
nicht dröhnend, melodiös und sehr deutlich, ohne erkennbaren Akzent - das alles habe ich gleich gemerkt, doch die
Stimme allein sagt nicht viel aus. Aber Sie können lesen! Sie
können wirklich lesen!«
    »Natürlich kann ich lesen«, sagte Rosie. Sie wußte nicht, ob
sie amüsiert oder ärgerlich sein sollte. »Sehe ich aus, als wäre
ich von Wölfen großgezogen worden?«
    »Nein, natürlich nicht, aber häufig sind nicht einmal sehr
gute Leser imstande, laut zu lesen - auch wenn sie nicht
gerade stottern, können sie sehr wenig hineinlegen. Und
Dialoge sind viel schwerer als normaler Text… der Härtetest,
könnte man sagen. Aber bei Ihnen habe ich zwei

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