Das Bild
seit
Kathy Bates’ Aufzeichnung von Das Schweigen der Lämmer, und das will viel heißen - Robbie ist ein regelrechter Verehrer
dieser Aufzeichnung, und der Aufnahme, wie Robert Frost
>The Death of the Hired Man<, liest. Die hat er auf einer alten
Caedmon-LP mit 33 1/3 Umdrehungen. Sie ist zerkratzt,
aber unglaublich gut.«
Rosie schwieg. Sie war überwältigt.
»Also hab ich ihn um Ihre Adresse gebeten. Nun, das ist
vielleicht ein bißchen geflunkert. Die häßliche Wahrheit ist,
ich hab ihn angefleht. Robbie kann nicht nein sagen, wenn
man ihn anfle ht. Und um ihm nicht unrecht zu tun, Rosie…«
Aber den Rest bekam sie nicht mehr mit. Rosie, dachte sie. Er hat mich Rosie genannt. Ich hab ihn nicht darum gebeten, er hat
es einfach getan.
»Möchten die Herrschaften vielleicht etwas trinken?« Ein
Kellner war neben Bill aufgetaucht. Älter, würdevoll, gutaussehend - er wirkte wie ein Literaturprofessor am College. Einer mit einer Neigung für taillierte weiße Kleider, dachte Rosie
und hätte fast gekichert.
»Ich hätte gern einen Eistee«, sagte Bill. »Und Sie, Rosie?«
Schon wieder. Er hat es schon wieder gesagt. Woher weiß er, daß
ich nie wirklich eine Rose war, sondern immer richtig Rosie?
»Hört sich gut an.«
»Zwei Eistee, ausgezeichnet«, sagte der Kellner, worauf er
eine kurze Liste von Spezialitäten herunterbetete. Zu Rosies
Erleichterung waren sie alle in Englisch, und als sie London
broil hörte, verspürte sie sogar einen leichten Anflug von
Hunger.
»Wir überlegen und sagen Ihnen gleich Bescheid«, sagte
Bill.
Der Kellner ging, und Bill drehte sich wieder zu Rosie um.
»Und noch etwas muß ich Robbie zugute halten«, sagte er.
»Er schlug vor, daß ich im Studio vorbeischauen sollte … Sie
sind im Corn Building, richtig?«
»Ja, Tape Engine heißt das Studio.«
»Hm-hmm. Er hat vorgeschlagen, ich sollte im Studio vorbeischauen, damit wir alle drei nach den Aufnahmen mal
was trinken gehen können. Sehr besorgt, fast väterlich. Als
ich ihm sagte, daß ich das nicht könnte, mußte ich ihm regelrecht versprechen, daß ich Sie vorher anrufen würde. Und das
habe ich versucht, Rosie, aber ich konnte Ihre Nummer nicht
von der Auskunft bekommen. Haben Sie eine Geheimnummer?«
»Ich habe noch gar kein Telefon«, sagte sie und wich ihm
damit aus. Es war selbstverständlich eine Geheimnummer,
das hatte dreißig Dollar extra gekostet; Geld, das sie sich
eigentlich nicht leisten konnte, aber noch weniger konnte sie
es sich leisten, daß ihre Nummer in ihrer Heimatstadt auf
dem Bildschirm eines Polizeicomputers auftauchte. Sie
wußte, weil Norman sich immer darüber beschwert hatte,
daß die Polizei Geheimnummern nicht so einfach abrufen
konnte wie normale, die im Telefonbuch standen. Das war
illegal, eine Verletzung der Privatsphäre, die die Leute freiwillig aufgaben, wenn sie der Telefongesellschaft erlaubten,
ihre Nummern ins Buch einzutragen. Das hatten die
Gerichte entschieden, und Norman war, wie fast alle Polizisten, die sie im Lauf ihrer Ehe kennengelernt hatte, von
einem unversöhnlichen Haß auf die Gerichte und deren
Arbeit erfüllt.
»Warum konnten Sie nicht im Studio vorbeikommen?
Waren Sie nicht in der Stadt?«
Er nahm seine Serviette, faltete sie auseinander und legte
sie sorgfältig auf seinen Schoß. Als er wieder aufsah, stellte
sie fest, daß sich sein Gesicht irgendwie verändert hatte, aber
sie brauchte einen Moment, bis ihr das Offensichtliche klar
wurde - er wurde rot.
»Nun, ich glaube, ich wollte nicht im Rudel mit Ihnen ausgehen«, sagte er. »Dabei kann man nicht richtig mit jemand
reden. Ich wollte Sie einfach… nun … näher kennenlernen.«
»Und nun sind wir hier«, sagte sie leise.
»Ja, das stimmt. Nun sind wir hier.«
»Aber warum wollten Sie mich kennenlernen? Mit mir ausgehen?« Sie machte eine Pause, dann sprach sie auch den
Rest aus. »Ich meine, ich bin ein bißchen alt für Sie, oder
nicht?«
Er sah sie einen Moment ungläubig an, dann entschied er,
daß sie einen Witz gemacht hatte, und lachte. »Klar«, sagte
er. »Und wie alt sind Sie genau, Großmütterchen? Siebenundzwanzig? Achtundzwanzig?«
Zuerst dachte sie, daß er jetzt einen Witz machte - und keinen besonders guten -, aber dann merkte sie, daß es ihm
trotz des flapsigen Tonfalls ernst war. Er versuchte nicht einmal, ihr zu schmeicheln, sondern sprach nur das Offensichtliche aus. Jedenfalls das für ihn Offensichtliche. Die Erkenntnis schockierte sie, und ihre Gedanken stoben wieder in
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