Das Bild
sie sich schon
die Augenwinkel mit der Serviette abtupfen.
»Okay?« fragte er.
»Ja. Ich denke schon.«
»Möchten Sie darüber reden?«
Plötzlich stand ihr ein Bild mit der Deutlichkeit eines lebhaften Alptraums vor Augen. Es war Normans alter Tennisschläger, der Prince, dessen Griff mit grünem Klebeband
umwickelt war. Soweit sie wußte, hing er immer noch zu
Hause unten an der Kellertreppe. In den ersten Jahren ihrer
Ehe hatte er sie mehrmals damit verprügelt. Dann, etwa
sechs Monate nach ihrer Fehlgeburt, hatte er sie anal damit
vergewaltigt. Sie hatte in den Therapiesitzungen bei D & S
eine Menge Sachen von ihrer Ehe mitgeteilt (so nannten sie
es dort, mitteilen, ein Wort, das sie abscheulich und zutreffend zugleich fand), aber diese kleine Kostbarkeit hatte sie
für sich behalten - wie man sich fühlte, wenn man von einem
Mann, der breitbeinig über einem saß und einem die Knie
außen gegen die Oberschenkel preßte, den mit Klebeband
umwickelten Griff eines Tennisschlägers in den Arsch gebohrt bekam; was man empfand, wenn er sich über einen
beugte und sagte, wenn man sich wehrte, würde er das Wasserglas auf dem Nachttisch zerschla gen und einem mit den
Scherben die Kehle durchschneiden. Wie man sich fühlte,
wenn man da lag, die Dentyne-Zahnpasta in seinem Atem
roch und sich fragte, wie schlimm er einen da hinten verletzte.
»Nein«, sagte sie und war froh, daß ihre Stimme nicht
zitterte. »Ich will nicht über Norman reden. Er hat mich
mißhandelt, und ich habe ihn verlassen. Ende der Geschichte.«
»Okay«, sagte Bill. »Und er ist für immer aus Ihrem Leben
verschwunden?«
»Für immer.«
»Weiß er das auch? Wissen Sie, ich frage nur, weil Sie so zur
Tür gekommen sind. Sie haben mit Sicherheit keinen Abgesandten von der Kirche der Heiligen der Letzten Tage
erwartet.«
»Ich weiß nicht, ob er es weiß oder nicht«, sagte sie, nachdem sie kurz darüber nachgedacht hatte - sicher war es eine
durchaus berechtigte Frage.
»Haben Sie Angst vor ihm?«
»O ja. Worauf Sie sich verlassen können. Aber das hat nicht
unbedingt viel zu sagen. Ich habe vor allem Angst. Für mich
ist alles neu. Meine Freundinnen von … meine Freundinnen
sagen, ich werde darüber hinwegkommen, aber ich weiß
nicht.«
»Sie hatten keine Angst, mit mir essen zu gehen.«
»O doch, ich hatte Angst. Todesangst.«
»Warum sind Sie dann mitgekommen?«
Sie machte den Mund auf, um zu sagen, was sie schon vorhin gedacht hatte - daß er sie überrumpelt hatte -, aber dann
ließ sie es sein. Das entsprach der Wahrheit, aber es war nicht
die Wahrheit in der Wahrheit, und auf diesem Gebiet wollte
sie keine Notlügen. Sie wußte nicht, ob sie beide eine Zukunft nach diesem einen Essen in Pop’s Kitchen hatten
(allein schon die Tatsache, daß sie so kurz, nachdem sie Norman verlassen hatte, mit ihm ausgegangen war, kam ihr jetzt
irrational, möglicherweise irrsinnig vor), aber falls ja, wären
Ausflüchte ein schlechtes Fundament dafür.
»Weil ich es wollte«, sagte sie. Ihre Stimme klang leise, aber
deutlich.
»Okay. Kein Wort mehr darüber.«
»Und auch nicht über Norman.«
»Ist das ohne Flachs sein richtiger Name?«
»Ja.«
»Wie Norman Bates?«
»Wie Norman Bates.«
»Darf ich Sie etwas anderes fragen, Rosie?«
Sie lächelte leicht. »Wenn ich Ihnen nicht versprechen muß
zu antworten.«
»Einverstanden. Sie haben gedacht, Sie wären älter als ich,
richtig?«
»Ja«, sagte sie. »Das stimmt. Wie alt sind Sie denn, Bill?«
»Dreißig. Damit müssen wir in der Altersstraße fast die selbe Hausnummer haben … auf jeden Fall sind wir im selben Block. Aber Sie sind automatisch davon ausgegangen,
daß Sie nicht nur älter sind, sondern viel älter. Und nun
kommt die Frage. Sind Sie bereit?«
Rosie zuckte nervös die Achseln.
Er beugte sich zu ihr und richtete den Blick seiner faszinie renden, grüngetönten Augen auf sie. »Wissen Sie, daß Sie
wunderschön sind?« fragte er. »Das ist kein Schmus und
keine Floskel… jedenfalls glaube ich es nicht. Mir kommt es
wie eine ganz normale neugierige Frage vor. Wissen Sie, daß
Sie schön sind? Sie wissen es nicht, richtig?«
Sie machte den Mund auf. Außer einem leisen, kehligen
Röcheln kam nichts heraus. Es war mehr ein Pfeifen als ein
Seufzen.
Er legte die Hand auf ihre und drückte sie sanft. Die Berührung dauerte nur kurz, reizte ihre Nerven aber trotzdem
wie ein elektrischer Schlag, und im nächsten Moment hatte
sie nur Augen für ihn - sein Haar, seinen Mund und besonders seine Augen.
Weitere Kostenlose Bücher