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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gesagt? Im tiefsten Inneren ist jeder
Abschaum von der Straße. Du, ich, alle.
    »Rose?« fragte Bill. »Alles in Ordnung? Sie sehen blaß
aus.«
Nein, es war nicht alles in Ordnung mit ihr. Sie wußte, die
Stimme in ihrem Kopf log, sie gehörte einem Teil von ihr, der
immer noch von Normans Gift besudelt war, aber Wissen
und Empfinden waren zwei Paar Schuhe. Sie konnte nicht
inmitten dieser ganzen Leute sitzen, so einfach war das, und
ihre Seifen und Parfüms und Shampoos riechen oder das
Murmeln ihrer Unterhaltungen hören. Sie konnte sich nicht
normal mit dem Kellner unterhalten, der sich mit der Spezialitätenkarte zu ihr beugte, die wahrscheinlich teilweise in
einer fremden Sprache geschrieben war. Aber am allerwenigsten konnte sie sich auf Bill Steiner konzentrieren - mit
ihm reden, seine Fragen beantworten und sich die ganze Zeit
fragen, wie sich sein Haar unter ihrer Hand anfühlen würde.
Sie machte den Mund auf, um ihm zu sagen, daß nicht alles
in Ordnung war, daß ihr speiübel wurde und er sie lieber
nach Hause bringen sollte, vielleicht ein andermal. Doch
dann dachte sie, wie im Aufnahmestudio, an die Frau in dem
dunkelroten Chiton, die auf ihrem bewachsenen Hügel
stand und eine Hand erhoben hatte, während ihre Schulter
im seltsamen, wolkenverhangenen Licht jenes Ortes leuchtete. Wie sie dort oben stand, vollkommen furchtlos, über
einem verfallenen Tempel, der unheimlicher aussah als jedes
Haus, das Rosie je in ihrem Leben gesehen hatte. Als sie sich
das blonde, zu einem Zopf geflochtene Haar vorstellte, den
goldenen Armreif und die kaum sichtbare Rundung der
Brust, ließ das Flattern in Rosies Bauch nach.
Ich kann es durchstehen, dachte sie. Ich weiß nicht, ob ich
tatsächlich einen Bissen runterbringe, aber sicher bringe ich den
Mut auf, eine Zeitlang in diesem sauberen, hellerleuchteten Raum
bei ihm zu sitzen. Und soll ich mir Gedanken machen, ob er mich
später vergewaltigen wird? Ich glaube, nichts liegt diesem Mann
ferner, als jemand zu vergewaltigen. Das ist nur eines von Normans Hirngespinsten - Norman, der glaubt, daß kein Schwarzer
ein Kofferradio besitzt, das er nicht einem Weißen gestohlen hat.
Das entsprach der Wahrheit, und sie entspannte sich
erleichtert und lächelte Bill an. Es war ein klägliches, an den
Mundwinkeln zittriges Lächeln, aber es war besser als gar
keines. »Mir geht es gut«, sagte sie. »Ich hab nur ein bißchen
Angst, das ist alles. Sie dürfen mich nicht im Stich lassen.«
»Angst vor mir etwa?«
Allerdings Angst vor dir, sagte Norman von der Stelle in
ihrem Kopf, wo er hauste wie ein bösartiger Tumor.
»Nein, eigentlich nicht.« Sie sah ihm ins Gesicht. Es kostete
sie einige Anstrengung, und sie spürte, wie ihre Wangen rot
wurden, aber es gelang ihr. »Es ist nur so, Sie sind erst der
zweite Mann in meinem Leben, mit dem ich je ausgegangen
bin, und wenn das eine Verabredung ist, dann ist es meine
erste richtige seit dem Abschlußball der High School. Und
das war 1981.«
»Großer Gott«, sagte er. Er sagte es leise und ohne eine
Spur von Scherzhaftigkeit. »Jetzt bekomme ich ein wenig
Angst.«
Der Kellner - Rosie war nicht sicher, ob es sich um den
Oberkellner handelte oder ob das ein anderer war -, kam zu
ihnen und fragte ob sie einen Raucher- oder einen Nichtrauchertisch wollten.
»Rauchen Sie?« fragte Bill, worauf Rosie hastig den Kopf
schüttelte. »Irgendwo ein bißchen abseits wäre prima«, sagte
Bill zu dem Mann im schwarzen Anzug, und Rosie sah kurz
etwas Grau-Grünes - sie glaubte, es war ein Fünfdollarschein -, das von Bills Hand in die des Kellners wanderte.
»Vielleicht in einer Ecke?«
»Gewiß, Sir.« Er führte sie durch den hell erleuchteten Saal
unter den träge kreisenden Ventilatoren durch.
Als sie sich gesetzt hatten, fragte Rosie Bill, wie er sie
gefunden hatte, obwohl sie vermutete, daß sie es bereits
wußte. In Wirklichkeit interessierte sie mehr, warum er sie
gefunden hatte.
»Durch Robbie Lefferts«, sagte er. »Robbie kommt alle
paar Tage vorbei und schaut nach, ob ich neue Taschenbücher bekommen habe - nun, eigentlich alte Taschenbücher;
Sie wissen, was ich meine …«
Sie erinnerte sich an David Goodis - Es war ein harter
Schlag. Parry war unschuldig und lächelte.
»Ich wußte, er hat Sie eingestellt, damit Sie die Romane
von Christina Bell lesen, weil er extra vorbeigekommen ist
und es mir gesagt hat. Er war völlig aus dem Häuschen.«
»Tatsächlich?«
»Er sagte, Sie hätten die beste Stimme, die er gehört hat

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