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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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und als sie in dem kleinen Bad stand und
sich die Zähne putzte, hatte sie Rose Madder, die Frau auf
dem Hügel, vollkommen vergessen. Sie hatte auch Norman
vergessen, und Anna und Pam, und die Indigo Girls am
Samstagabend. Sie dachte an ihr Abendessen mit Bill Steiner
und ging ihre Verabredung mit ihm noch einmal Minute für
Minute, Sekunde für Sekunde durch.
8
     
Sie lag im Bett, war am Eindösen und lauschte dem Konzert
der Grillen, das aus dem Bryant Park herüber klang.
    Dösend erinnerte sie sich - ohne Schmerzen und scheinbar
aus großer Entfernung - an das Jahr 1985 und ihre Tochter
Caroline. Soweit es Norman betraf, hatte es nie eine Caroline
gegeben, woran auch die Tatsache nichts änderte, daß er
Rosies zaghaftem Vorschlag zugestimmt hatte, Caroline sei
ein schöner Name für ein Mädchen. Für Norman war sie nur
eine Kaulquappe gewesen, die ein frühes Ende
gefunden
hatte. Wenn es eine weibliche Kaulquappe sein sollte, weil
sich seine Frau einem Hirngespinst hingab, na und? Achthundert Millionen Rotchinesen war das scheißegal, um es in
Normansprache auszudrücken.
1985 - was für ein Jahr das gewesen war. Ein Jahr in der
    Hölle. Sie hatte
(Caroline)
das Baby verloren, Norman beinahe seinen Job (und sie
    hatte eine Ahnung, als wäre er nur knapp einer Verhaftung
entronnen), sie war mit einer gebrochenen Rippe ins Krankenhaus eingeliefert worden, die fast ihre Lunge durchbohrt
hatte, und als kleine Zugabe war sie mit dem Griff eines Tennisschlägers in den Arsch gefickt worden. Es war auch das
Jahr, in dem ihr bis dahin bemerkenswert stabiler Verstand
ein wenig ins Schleudern geraten war, aber inmitten all der
übrigen Festivitäten bemerkte sie kaum, daß ihr eine halbe
Stunde auf Pus Stuhl manchmal wie fünf Minuten vorkam
und sie an manchen Tagen acht- oder neunmal duschte, bis
Norman von der Arbeit nach Hause kam.
    Sie mußte im Januar schwanger geworden sein, denn ab
da wurde ihr morgens schlecht, und im Februar blieb ihre
erste Periode aus. Der Fall, der für Normans »offizielle Disziplinierung« verantwortlich war - die er bis zum Tag seiner
Pensionierung in den Akten stehen haben würde -, hatte im
März seinen Anfang genommen.
    Wie war sein Name? fragte sie sich in ihrem Bett, immer
noch zwischen Schlaf und Wachsein, aber im Augenblick
immer noch näher an letzterem. Der Mann, mit dem der ganze
Ärger angefangen hat, wie war sein Name?
    Einen Moment fiel er ihr nicht ein, nur die Erinnerung, daß
er ein Schwarzer gewesen war … ein Niggerbursche, in Normansprache. Dann kam sie darauf.
    »Bender«, murmelte sie im Dunkeln und lauschte dem leisen Zirpen der Grillen. »Richie Bender. Das war sein Name.«
1985, ein Jahr in der Hölle. Ein Leben in der Hölle. Und jetzt
dieses Leben. Dieses Zimmer. Dieses Bett. Und das Zirpen
der Grillen.
Rosie machte die Augen zu und schlief ein.
    Keine drei Meilen von seiner Frau entfernt lag Norman in seinem
eigenen Bett, döste ein, sank in die Dunkelheit und lauschte dem
konstanten Brummen des Verkehrs auf der Lakefront Avenue, acht
Stockwerke unter ihm. Seine Zähne und sein Kiefer taten immer
noch weh, aber der Schmerz war jetzt weit weg, unwichtig, hinter
einer Mischung von Aspirin und Scotch versteckt.
    Im Halbschlaf mußte auch er an Richie Bender denken; es war,
als hätten sich Norman und Rosie, ohne es zu wissen, kurz auftelepathischem Wege geküßt.
    »Richie«, murmelte er im Halbdunkel seines Hotelzimmers, und
dann legte er den Unterarm über seine geschlossenen Augen.
»Richie Bender, du Kotzbrocken. Du elender Kotzbrocken.«.
    Es war an einem Samstag gewesen - am ersten Samstag im
März 1985. Vor zehn Jahren, mehr oder weniger. Gegen elf Uhr an
diesem Tag war ein Niggerbursche in das Payless-Geschäft Ecke
6oth und Saranac spaziert, hatte dem Kassierer zwei Kugeln in den
Kopf gejagt, die Kasse geplündert und war wieder hinausgegangen.
Während Norman und sein Partner den Angestellten an der Leergutannahme nebenan verhörten, kam ein anderer Nigger zu ihnen,
der eine Buffalo-Bills-Jacke trug.
    »Ich kenn den Nigger«, sagte er.
»Und was für einen Nigger, Bruder? «fragte Norman.
»Den Nigger, der das Payless überfallen hat«, antwortete der
    Nigger. »Ich hab genau da drüben bei dem Briefkasten gestanden,
als er rausgekommen ist. Heißt Richie Bender. Böser Nigger. Verkauft Crack in seinem Motelzimmer da unten.« Er hatte nach
Osten gezeigt, zum Bahnhof.
    »Was soll das für’n Motel sein?« fragte Harley Bissington. Harley war an jenem

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