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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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daß sie es nicht sagen konnte, weil sie es in
so vielen Filmen gehört hatte, wo es sich immer so sehr wie
ein Winseln anhörte: Tu mir nicht weh. Das mußte sie sagen. Bitte, tu mir nicht weh. Der beste Teil von mir, den ich noch habe,
wird sterben, wenn du mir weh tust.
    Aber er wartete immer noch auf eine Antwort. Wartete
darauf, daß sie etwas sagte.
Rose machte den Mund auf, um nein zu sagen, sie sollte
zum Picknick ebenso dort sein wie zum Konzert, vielleicht
ein andermal. Dann sah sie das Bild, das neben dem Fenster
an der Wand hing. Sie würde nicht zögern, dachte Rosie; sie
würde die Stunden bis zum Samstag zählen, und wenn sie
schließlich hinter ihm auf das Stahlroß stieg, würde sie ihm
die ganze Fahrt über den Rücken klopfen, damit er ihm noch
mehr die Sporen gab. Einen Augenblick konnte Rosie sie fast
dort sitzen sehen, den Saum des dunkelroten Chitons hochgezogen, die bloßen Schenkel fest an seine Hüften gepreßt.
Das heiße Pulsieren durchfuhr sie wieder, diesmal stärker.
Schöner.
»Okay«, sagte sie. »Ich komme mit. Unter einer Bedingung.«
»Heraus damit.« Er grinste und schien sich riesig zu
freuen.
»Bring mich zu Ettinger’s Pier - da steigt die Party von
D & S - und bleib zum Konzert. Ich besorge die Karten. Das
ist meine Einladung.«
»Abgemacht«, sagte er sofort. »Kann ich dich um halb
neun abholen, oder ist das zu früh?«
»Nein, prima.«
»Du solltest eine Jacke und vielleicht einen Pullover anziehen«, sagte er. »Wenn wir nachmittags nach Hause fahren,
kannst du sie eventuell in den Satteltaschen verstauen, aber
wenn wir aufbrechen, ist es mit Sicherheit noch kalt.«
»Gut«, sagte sie und dachte schon, daß sie sich die Sachen
von Pam Haverford leihen mußte, die ungefähr dieselbe
Größe hatte. Rosies gesamte Garderobe für draußen bestand
im Augenblick aus einer leichten Jacke, und ihr Budget ließ
Einkäufe in der Richtung nicht zu, jedenfalls in nächster Zeit
nicht.
»Dann sehn wir uns am Samstag. Und noch mal danke für
heute abend.« Er schien kurz zu überlegen, ob er ihr noch
einen Kuß geben sollte, doch dann nahm er einfach ihre
Hand und drückte sie kurz.
»Gern geschehen.«
Er drehte sich um und lief rasch, wie ein Junge, die Treppe
hinunter. Sie konnte nicht anders, sie mußte es mit der Art
und Weise vergleichen, wie Norman sich bewegte - entweder mit gesenktem Kopf stapfend, oder mit einer unheimlichen, pfeilschnellen Geschwindigkeit. Sie sah seinem in die
Länge gezogenen Schatten an der Wand nach, bis er verschwunden war, dann machte sie die Tür zu, schloß beide
Schlösser ab, lehnte sich dagegen und sah durch das Zimmer
zu ihrem Bild.
Es hatte sich wieder verändert. Sie war fast sicher.
Rosie ging hin und stellte sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen und leicht nach vorne gerecktem Kopf
davor, eine Haltung, die auf komische Weise an Karikaturen
von Galeristen oder Museumsbesuchern erinnerte, wie sie
im New Yorker erschienen.
Ja, stellte sie fest, obwohl die Abmessungen des Bildes
unverändert geblieben waren, hätte sie schwören können,
daß es irgendwie wieder breiter geworden war. Rechts,
neben dem zweiten Steingesicht
- das blind seitwärts
durch das hohe Gras sah - konnte sie jetzt etwas erkennen,
was wie die Ausläufer einer Waldlichtung aussah. Links,
jenseits der Frau auf dem Hügel, konnte sie Kopf und Schultern eines kleinen, zottigen Pferdes ausmachen. Es trug
Scheuklappen, knabberte an dem hohen Gras und schien
vor ein Gefährt gespannt zu sein
- möglicherweise ein
Karren, möglicherweise eine Kutsche oder Karosse. Diesen
Teil konnte Rosie nicht sehen; er lag außerhalb des Bilds
(jedenfalls bis jetzt). Sie konnte aber einen Teil seines
Schattens erkennen, und noch einen zweiten Schatten, der
daraus hervorwuchs. Sie glaubte, daß es sich bei diesem
zweiten Schatten um Kopf und Schultern eines Menschen
handeln konnte. Möglicherweise jemand, der neben dem
Fahrzeug stand, vor das das Pferd gespannt war. Oder vielleicht
Oder vielleicht hast du den Verstand verloren, Rosie. Du glaubst
doch nicht wirklich, daß dieses Bild größer wird, oder? Oder mehr
zeigt, wenn dir das lieber ist?
Aber in Wahrheit glaubte sie es, sie sah es, und der Gedanke
erfüllte sie mehr mit Aufregung als mit Angst. Sie wünschte
sich, sie hätte Bill nach seiner Meinung gefragt; sie hätte zu
gern gewußt, ob er auch sah, was sie sah … oder zu sehen glaubte.
Samstag, schwor sie sich. Vielleicht kann ich ihn am Samstag
fragen.
Sie zog sich aus,

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