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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schräg darauf scheint.«
»Ja, dann sieht es schön aus«, sagte Rosie, fügte aber nicht
hinzu, daß das Bild ihrer Meinung nach zu jeder Tageszeit
gut aussah - genau richtig und genau am richtigen Platz.
»Ich nehme an, es langweilt Sie noch nicht?«
»Nein, überhaupt nicht.«
Und sie wollte hinzufügen: Es hat ein paar ziemlich
komische Tricks auf Lager. Warum kommst du nicht rein und
siehst es dir genauer an? Vielleicht siehst du etwas
Erstaunlicheres als eine Lady, die bereit ist, dir mit einer Dose
Obstsalat den Schädel einzuschlagen. Sag du mir, Bill - hat sich
das Bild irgendwie von normaler Größe auf Cinemascope
aufgeblasen, oder bilde ich es mir nur ein?
Das alles sagte sie selbstverständlich nicht.
Bill legte ihr die Hände auf die Schultern, und sie sah feierlich zu ihm auf, wie ein Kind, das ins Bett gebracht wird, als
er sich nach vorne beugte und ihr an der empfindlichen
Stelle zwischen den Brauen einen Kuß auf die Stirn gab.
»Danke, daß du mit mir ausgegangen bist«, sagte er.
»Danke, daß du mich eingeladen hast.« Sie spürte eine
Träne an ihrer linken Wange hinunterkullern und wischte sie
mit dem Knöchel ab. Sie schämte sich nicht und hatte keine
Angst, weil er es sah; sie hatte den Eindruck, daß sie ihm den
Anblick einer Träne zumuten konnte, und das war schön.
»Hör zu«, sagte er. »Ich hab ein Motorrad - eine alte Harley-Maschine. Sie ist groß, und manchmal geht der Motor
vor roten Ampeln aus, aber sie ist bequem … und ich bin ein
bemerkenswert sicherer Motorradfahrer, wenn ich das selbst
einmal sagen darf. Einer von sechs Harley-Fahrern in Amerika, die einen Helm tragen. Wenn es Samstag schön ist,
könnte ich vorbeikommen und dich gleich morgens abholen.
Ich kenne ein Plätzchen dreißig Meilen entfernt, am See.
Wunderschön. Zum Schwimmen ist es noch zu kalt, aber wir
könnten ein Picknick machen.«
Zuerst konnte sie gar nicht antworten - sie war einfach
platt, weil er wieder mit ihr ausgehen wollte. Und dann die
Vorstellung, mit ihm Motorrad zu fahren … wie würde das
sein? Einen Augenblick konnte Rosie nur daran denken, wie
es sich anfühlen würde, wenn sie auf zwei Rädern hinter ihm
saß und mit fünfzig oder sechzig Meilen pro Stunde durch
den Wind pflügte. Die Arme um ihn zu legen. Eine gänzlich
unerwartete Hitze durchpulste sie, so etwas wie ein Fieber
und sie erkannte es im ersten Moment gar nicht, daß sie vor
langer, langer Zeit schon einmal etwas Ahnliches empfunden hatte.
»Rosie? Was sagst du?«
»Ich… Nun…«
Was sollte sie sagen? Rosie strich sich mit der Zunge nervös
über die Oberlippe, wandte sich von ihm ab, damit sie einen
klaren Gedanken fassen konnte, und sah den Stapel gelber
Flugblätter auf dem Tisch liegen. Als sie Bill wieder ansah,
verspürte sie Enttäuschung und Erleichterung zugleich.
»Ich kann nicht. Am Samstag ist das Picknick vom Daughters and Sisters. Es findet ein Softballspiel statt, Wettrennen,
Hufeisenwerfen, Kunstgewerbebuden
- all solche Sachen.
Und abends ein Konzert, das richtig Geld bringen soll. Die ses Jahr haben wir die Indigo Girls. Ich habe versprochen, ich
würde von fünf Uhr an den T-Shirt-Stand übernehmen, und
das sollte ich auch tun. Ich verdanke ihnen so viel.«
»Wir könnten locker um fünf wieder zurück sein«, sagte er.
»Vier, wenn du möchtest.«
Sie wollte … aber sie hatte weitaus schwerwiegendere
Bedenken als nur, zu spät zu kommen, um T-Shirts zu verkaufen. Würde er es verstehen, wenn sie es ihm erklärte?
Wenn sie sagte: Ich würde gerne meine Arme um dich legen,
während du Gas gibst, und es würde mir gefallen, wenn du eine
Lederjacke tragen würdest, damit ich mein Gesicht an deine Schulter legen, den angenehmen Geruch einatmen und das leise Quietschen hören kann, wenn du dich bewegst. Das würde mir gefallen,
aber ich habe Angst davor, was ich später herausfinden könnte,
wenn der Ausflug vorbei ist… nämlich daß der Norman in meinem Kopf die ganze Zeit recht damit gehabt hat, was du wirklich
willst. Am meisten angst macht mir, daß ich den elementaren
Grundsatz im Leben meines Mannes überprüfen muß, den, den er
nie laut aussprechen mußte, weil es nicht nötig war: daß es ganz
normal war, wie er mich behandelt hat, ganz natürlich. Nicht vor
den Schmerzen habe ich Angst; über Schmerzen weiß ich Bescheid.
Ich habe Angst vor dem Ende dieses kurzen, süßen Traums. Weißt
du, davon hatte ich so wenige.
    Ihr wurde klar, was sie sagen mußte, und im nächsten Moment wußte sie,

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