Das Bildnis der Novizin
Herrn und als Frau obendrein die unwürdigste von allen Seinen Dienern.
Dennoch murmelt sie erst ein Gebet, bevor sie auf den Säugling zutritt und ihm das Kreuzzeichen auf die kleine Stirn malt. Sie schwenkt ein rotbraunes Zweiglein über dem Haupt des Kindes, berührt damit seine Schläfen; Nelkenwurz, das den kleinen Erdenbürger auf der bevorstehenden, ungewissen Reise beschützen soll. Nun murmelt sie jene Worte, die sie schon so oft über Neugeborenen gesprochen hat, denen sie auf die Welt half: »Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«
Das Gesicht der jungen Novizin glüht vor Freude, als sie die Worte hört, mit denen der neue Erdenbürger in den Schoß der heiligen Mutter Kirche aufgenommen wird. Sie massiert die Ärmchen des Säuglings, beugt seine Knie, seine Ellbogen, streichelt seine winzigen Fingerchen. Der Kleine reißt sein Mündchen auf und gähnt, zeigt dabei seine kleine rosa Zunge. Die Novizin errötet vor Freude. Mit einem tiefen Seufzer steckt die Hebamme den Nelkenzweig zu dem Säugling, damit er ihn vor allem Bösen bewahre. Dann weist sie die Novizin an, das Kind reisefertig zu machen. Die junge Helferin sagt kein Wort, doch ihre Augen sind groß und fragend auf die Alte gerichtet. »Mach!«, flüstert diese. »Beeil dich!«
Das Mädchen gehorcht. Rasch und geschickt wickelt es das Kind in eine zweite, warme Decke, packt es fest ein.
»Der Kopf. Der Kopf muss warm bleiben«, flüstert die Hebamme. »Seine Reise könnte lang sein.«
»Mein Kind!«, ruft die Mutter vom Wochenbett aus. Ihre Stimme klingt drängend.
Die Hebamme ignoriert die Rufe der jungen Frau. Sie nimmt der Novizin das Kind ab, öffnet die Tür der Krankenstation und übergibt den Säugling einer wartenden Mitschwester. Diese eilt sogleich mit dem Bündel im Arm durch den mondbeschienenen Kapitelhausgarten davon. Ihre Füße machen kein Geräusch auf dem staubigen Boden. Im Klosterhof übergibt sie das Bündel, das anzusehen sie geflissentlich vermieden hat, einem bereitstehenden Mann in braunem Reisemantel, dessen Gesicht unter einer Kapuze verborgen ist. Der Mann läuft mit dem schwächlich strampelnden Säugling zu einem Eselskarren und springt auf. Er treibt das Tier mit einem Zügelschnalzen an und das Gefährt rumpelt davon.
Mit einem dumpfen Knall fällt das Klostertor hinter den Wegfahrenden ins Schloss.
Die Aufgabe der Hebamme ist beinahe erfüllt. Brüsk entlässt sie die Novizin. Die Mühen des jungen Mädchens würdigt sie mit kaum einem Wort. Sie streckt ihren Rücken, die müden Schultern und greift dann nach einem Kräuterbündel aus getrocknetem Rosmarin und Salbei. Sie hält die Zweige an die Kerze. Als sie Feuer gefangen haben, bläst sie die Flamme aus und durchschreitet mit dem stark rauchenden Bündel den Raum. Über der hingestreckten Mutter bleibt sie stehen, schwenkt die glimmenden Zweige und murmelt ein Gebet. Als die ganze Kammer von Rauch erfüllt ist, legt sie das Bündel in einer Zinnschale ab. Dann beginnt sie mit dem Aufräumen. Sie rafft die blutigen Laken zusammen und wirft sie in einen Korb. Sie zerrt den Holzbottich zur Tür, wo man ihn im Morgengrauen abholen und säubern wird. Das Wasser wird zum Bewässern der Kräuterbeete im Klostergarten verwendet werden. Ohne das leise Wimmern der jungen Mutter zu beachten, sammelt sie alles Herumliegende in ihrer großen Schürze zusammen, deren Enden sie wie einen Beutel zusammenhält: ein Messer, die Schale mit der Nachgeburt, die Geburtszange, die glücklicherweise nicht zum Einsatz kam. Endlich bläst sie die Kerze aus. Die Kammer taucht ins Dunkel der Nacht.
»Wo ist mein Kind?«, ruft die junge Mutter mit heiserer Stimme. »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
Die alte Nonne ist keineswegs hartherzig, doch mittlerweile weiß sie, wie sie sich in solchen Fällen zu verhalten hat. Und diese junge Mutter, redet sie sich ein, ist auch nicht anders als die anderen.
»Ich gehorchte dem Befehl des Generalabtes. Das Kind wurde getauft. Man wird sich seiner annehmen.«
»Nein, nein, nein!«, jammert die junge Frau. Ihre Schreie dringen bis zum Dormitorium, wo die Schwestern in ihren Zellen liegen und alles mitanhören müssen. »Mein Kind! Mein Kind!«
»Bitte. Es liegt nicht in unserer Macht, die Entscheidungen des Generalabtes infrage zu stellen.« Zum ersten Mal in dieser langen Nacht liegt ein Anflug von Mitgefühl in der Stimme der Alten. »Es ist Gottes Wille.«
»Der Generalabt«, kreischt die
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