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Das Bildnis der Novizin

Titel: Das Bildnis der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Albanese Laura Morowitz Gertrud Wittich
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Kräuter, die sie hier im klostereigenen Kräutergarten zieht.«
    Lucrezias Blick huschte zu einer kleinen, gebeugten Nonne mit einem Korb voller gelber Blumen im Arm. Sie schaute über eine niedrige Gartenmauer zu ihnen herüber. Als sich Lucrezia beim Betreten des kühlen Klosterbaus noch einmal umdrehte, sah sie, dass die alte Nonne ihnen noch immer nachblickte.
    »Hier ist eure Ordenstracht«, sagte Schwester Camilla, nachdem sie die Mädchen zu ihren Schlafzellen geführt hatte. Diese waren so schmal, dass kaum eine Pritsche und ein kleiner Waschtisch darin Platz fanden. Missbilligend musterte die Nonne die kostbaren Kleider der beiden. »Eure alten Sachen müsst ihr natürlich abgeben.«
    Die Sekretärin betrachtete das lange Haar der jungen Frauen. Ungehalten wedelte sie eine Fliege weg, die ihren Kopf umschwirrte.
    »Das Kloster verzichtet auf den Brauch, seinen Novizinnen das Haar zu scheren. Die Äbtissin betrachtet das Haupthaar nicht als Eitelkeit, sondern als Gottesgeschenk, um uns an kalten Tagen warm zu halten.«
    Damit ließ sie die beiden stehen.
    Lucrezia ließ sich auf die schmale Pritsche ihrer Zelle sinken und brach in Tränen aus. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht glauben wollen, dass dies ihr Schicksal sein sollte. Aber weder Wutausbrüche noch Betteln noch Gebete hatten geholfen – nun war sie doch hinter dicken Klostermauern gelandet.
    Erschöpft begann sie sich auszuziehen. Stück für Stück legte sie ihre Kleidung auf der Pritsche ab. Noch bevor sie fertig war, klopfte es an die dünne Brettertür der Zelle und die kleine alte Nonne, die sie im Garten gesehen hatte, schaute herein.
    »Ich bin Schwester Pureza«, erklärte sie. »Komm, zieh dich an, es wird Zeit.«
    Lucrezia blickte über die Schulter der Alten auf den Gang hinaus und sah, dass eine andere Nonne an die Zelle ihrer Schwester klopfte, ihr dieselben Anweisungen gab. Spinetta hatte ihre Tracht bereits angelegt und händigte nun tapfer ihr Lieblingskleid aus.
    »Alles, bitte«, befahl die andere Nonne. »Auch deinen Umhang und die Reisetasche.«
    Schwester Pureza musterte die junge Frau mit den verweinten Augen.
    »Beeil dich, Lucrezia. Ich weiß, es ist heiß, aber es gibt noch viel zu tun.« Schwester Purezas Gesicht verzog sich zu einem gütigen Lächeln. Sie wies mit einer Bewegung ihres Kinns auf die Nonnentracht.
    »Ja, Schwester«, sagte Lucrezia und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Verzeih.«
    Sie wandte der alten Frau den Rücken zu und schlüpfte aus ihrem seidenen Unterkleid, ihren Stiefeln, den schweißnassen Leinenstrümpfen. Dann verharrte sie zitternd in ihrer Unterwäsche, die sie mit flinken Fingern selbst genäht hatte.
    Schwester Pureza stand wartend im Türrahmen. Auch sie war einst die schöne Tochter eines reichen Kaufmanns gewesen, hatte in einem feinen Palazzo gewohnt. Sie war nach Rom zur Krönung von Papst Martin V. gereist, hatte die besten Weine aus den Kellereien ihrer Onkel gekostet. Doch waren ihr ihre Schönheit und Anmut zum Verhängnis geworden; voll Schande hatte man sie hinter Klostermauern abgeschoben. Doch mit der Zeit hatte sie sich in ihr Schicksal gefügt, hatte ihren Geburtsnamen abgelegt und den Namen Schwester Pureza Magdalena angenommen.
    Doch als sie nun die junge Novizin zitternd im Hemd dastehen sah, musste sie unwillkürlich an ihr erstes Jahr in Santa Margherita zurückdenken und daran, wie schwer es für sie gewesen war. Sie seufzte.
    »Mein Vater«, stieß Lucrezia hervor.
    Sie wandte sich um, fiel auf die Knie und befingerte den Saum ihres Unterhemds, in den sie ein silbernes Medaillon von Johannes dem Täufer eingenäht hatte, dem Schutzpatron von Florenz. »Mein Vater.«
    Schwester Pureza legte ihre alte, abgearbeitete Hand auf das blonde Haupt der Novizin. Ihre Fingernägel waren schwarz gerändert von der Gartenerde; ein paar Krümel fielen auf das Haar des Mädchens. Ihr Blick glitt über das feine Schlüsselbein, die zarten Schultern, die Brüste, die sich unter der schweißnassen Seide des Unterhemds abzeichneten.
    »Bitte.« Lucrezia berührte das Hemd, in das sie so viel Liebe und Mühe investiert hatte. »Diese Seide war ein letztes Geschenk meines Vaters. Ich kann … ich kann es einfach nicht hergeben.«
    »Ach, Kind«, sagte Schwester Pureza leise. Die alte Nonne wusste, dass dem Mädchen kaum ein anderer Luxus bleiben würde, dass die Erinnerung an ihr altes Leben langsam schwinden und zu einem fernen Traum, wie aus einer anderen Welt, verblassen

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