Das Bildnis der Novizin
der Schwestern annähme. Beide seien freundliche, gütige und tugendhafte Seelen.
»Sie sind die Töchter eines reichen Seidenhändlers, der kürzlich von unserem Herrn zu sich berufen wurde«, erklärte die Äbtissin, die alten Augen mühsam auf das Pergament geheftet. »Fünf Mädchen und ein Bruder. Die zwei sind die jüngsten. Offenbar gab es Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Geschäftspraktiken des Vaters.«
Die beiden Nonnen blickten aus dem Fenster des Stuckgebäudes, über dessen Tür die Worte SANCTUS AUGUSTUS prangten.
Spinetta schien die neugierigen Blicke der beiden kaum wahrzunehmen. Sie hatte einen Rosenkranz aus Quarzperlen in der Hand, den sie heftig umklammerte, während ihre Lippen sich in lautlosem, inbrünstigem Gebet bewegten. Lucrezia hingegen hielt abermals ihr Duftkissen ans Gesicht und atmete tief den Duft der Kamille ein.
»Sie hat das Gesicht eines Engels«, seufzte Schwester Camilla.
»Das wird ihr hier nichts nützen«, bemerkte die Mutter Oberin trocken.
Nach einem kurzen Moment der Sammlung wählte Fra Filippo einen feinen Pinsel aus dem Durcheinander auf seinem Arbeitstisch. Er tauchte ihn in frische Temperafarbe und näherte sich damit dem blanken Oval des Madonnengesichts.
Er hielt inne.
»Ich kann’s nicht sehen«, brummte er ungehalten. »Ich kann das Gesicht der Madonna einfach nicht sehen.«
Fra Filippo wusste, dass er einfach nur seinem Entwurf folgen müsste, um Ottavio de Valenti zufriedenzustellen. Aber der Mönch hatte sich noch nie damit zufriedengegeben, irgendeiner Vorgabe zu folgen. Seine Madonna sollte von trauriger Schönheit sein; eine anmutige Maria, die schon jetzt das tragische Ende ihres Sohnes zu erahnen schien.
»Matteo!«, dröhnte die Stimme des Malers durch die kleine Hütte. Da fiel ihm ein, dass er wieder einmal einen unfähigen Helfer hatte entlassen müssen. Erst am selben Morgen hatte er entdeckt, dass der Hornochse vergessen hatte, die Gessopinsel auszuwaschen, und nun lagen sie hart und nutzlos auf dem Boden. In plötzlich aufflammender Wut versetzte er ihnen einen Tritt und nahm dann einen langen Zug aus einem braunen Krug mit Chianti.
Fra Filippo hatte von Anfang an gewusst, wie wenig Zeit er für das Bild haben würde. Er lehnte selten einen Auftrag ab, schon gar nicht von einem so reichen Mann wie de Valenti. Das Leben eines Künstlers war voller Unwägbarkeiten, da war die Gunst eines reichen Mannes nicht zu unterschätzen. Denn die Mönchskutte, das wusste Fra Filippo aus leidvoller Erfahrung, schützte nicht vor den Gefahren der fleischlichen Versuchung, auch nicht vor den Schwierigkeiten, in die er sich durch seine unbezähmbaren Leidenschaften immer wieder selbst brachte.
Obwohl Cosimo de Medici ihn kürzlich als den größten lebenden Maler Italiens bezeichnet hatte, war Fra Filippo schwer verschuldet, oft in Geldnöten und immer mit seiner Arbeit im Rückstand. Sein wachsender Ruhm als Künstler brachte ihm zwar mehr und mehr Aufträge ein, doch hatte sich dadurch weder sein Arbeitstempo gesteigert, noch hatte er die unglückliche Neigung ablegen können, sich durch das Hinausschieben von Dingen selbst das Leben schwer zu machen.
Seine Neigung zur Prahlerei, seine unbeherrschten Leidenschaften, sein hochfahrender Stolz waren mittlerweile Legende. Wenige jedoch wussten oder begriffen, wie oft Fra Filippo von Selbstzweifeln gequält wurde, wie oft er fürchtete zu versagen. Und wie immer in solchen Momenten fühlte sich Fra Filippo überwältigt von den Anforderungen, die die Welt und Gott an ihn stellten.
»Warum verlangst du von mir, etwas zu malen, das ich nicht sehe, o Herr?«, stieß er verzweifelt hervor. »Wenn dies dein Wille ist, o Herr, dann zeig mir ein Gesicht, das der Jungfrau würdig ist.«
Lucrezia und Spinetta ließen sich von Schwester Camilla über den Hof führen, vorbei an der kleinen Klosterscheune, an dem stinkenden Schweinestall und an einem Pferch mit laut blökenden Schafen. Dann tauchten sie in den kühlen, schattigen Kreuzgang ein. Lucrezia lief der Schweiß über den Rücken. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick zu dem kleinen Springbrunnen im Garten des Kreuzgangs, der sie mit seinem fröhlichen Plätschern zu verspotten schien.
»Beim Eintritt in den Orden gibt man allen weltlichen Besitz auf.« Schwester Camillas Stimme drang wattig durch die hitzeflirrende Luft. »Ora et labora, bete und arbeite, das ist unsere Devise. Und zur Erhaltung unserer Gesundheit dienen uns Schwester Purezas
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