Das Bildnis der Novizin
man eine gewisse Schulbildung. Sie hat ebenfalls um eine Assistentin gebeten. Vielleicht sagt dir diese Aufgabe mehr zu. Andererseits ist deine Schwester recht zart, du dagegen wirkst, als würdest du mit schwerer körperlicher Arbeit besser fertig.«
»Ich habe meinem Vater oft im Geschäft geholfen«, antwortete Lucrezia nachdenklich. »Schon seit ich klein war, habe ich ganze Tage im Garten verbracht, habe meinem Vater bei der Pflege der Pflanzen geholfen. Aber natürlich baut ihr hier keine Pflanzen zum Färben von Stoffen an. Vielleicht ist es deshalb besser, meine Schwester kommt in den Genuss der frischen Gartenluft.«
Schwester Pureza lächelte.
»Aber du irrst dich, mein Kind«, sagte sie. »Wir hier im Kloster Santa Margherita haben die ehrenvolle Aufgabe übernommen, einen renommierten Maler mit Pflanzen für seine Farben zu versorgen. Diese zusätzliche Pflicht hat mich sehr ermüdet. Vielleicht ist es Gottes Wille, der dich zu mir geführt hat.«
»Dann hat meine Schwester also recht!«, rief Lucrezia aus. »In Prato gibt es tatsächlich einen Maler.«
»Ja, Kind. Fra Filippo Lippi lebt seit einiger Zeit hier bei uns in Prato. Er arbeitet an einem Freskenzyklus im Dom. Außerdem ist er seit kurzem auch Kaplan von Santa Margherita.«
Als sie sah, welche Verwirrung diese letzte Nachricht bei Lucrezia auslöste, musste die alte Nonne lachen.
»Fra Filippo ist nicht nur Maler, er ist auch Mönch; der himmlische Vater hat ihn mit einer Fülle von Gaben bedacht. Er lebt in einem kleinen Häuschen am Rande der Piazza. Ihm wurde spezielle Dispens erteilt, so dass er in seculum leben darf, um seiner Arbeit als Künstler nachkommen und näher beim Dom sein zu können«, erklärte die Alte.
Schwester Pureza nahm Lucrezia beim Ellbogen und führte sie zu einer schmalen Tür auf der Rückseite der Kirche.
»Selbst hier, in unserer bescheidenen Umgebung, gibt es große Schönheit zu entdecken«, sagte sie beim Betreten einer kleinen Kapelle.
Lucrezia stand im Dunkeln, bis die alte Frau einen Fensterladen aufgemacht hatte. Ein Sonnenstrahl beschien die glatten Holzbalken der Decke, und Lucrezia fand sich unversehens einem wunderhübschen kleinen Altar gegenüber. Über diesem Altar hing ein herrliches Triptychon.
» Die Krönung der Jungfrau «, sagte Schwester Pureza ehrfürchtig und zündete zwei Kerzen an. »Ein Geschenk von Bruder Filippo an unser Kloster.«
Lucrezia raffte anmutig ihr Habit und trat einen Schritt näher. Entzückt glitt ihr Blick über die Engelsschar, die einem bärtigen Christus dabei zusah, wie er einer scheuen Jungfrau Maria einen Goldreif aufs Haupt setzte.
»Ich habe noch nie ein so schönes Gemälde gesehen, außer in der großen Kathedrale von Florenz«, stieß Lucrezia staunend hervor. »Und das hat unser Kaplan gemalt?«
»So ist es.« Schwester Pureza freute sich über Lucrezias Reaktion und verdrängte den Gedanken an Gerüchte, die über Fra Filippos Ausschweifungen kursierten. »Ich habe gehört, er soll selbst in den Königreichen Mailand und Neapel berühmt sein, nicht nur in Florenz.«
Lucrezia beugte sich vor, um sich die Gewänder der Jungfrau und der Engelsputten, die harfenspielend und trompetenblasend am Himmel schwebten, näher ansehen zu können. Noch nie hatte sie solch leuchtende Seidenstoffe gesehen, solche Farben, deren Schattierung sich je nach Lichteinfall und Blickwinkel zu ändern schien. Tatsächlich besaßen die Figuren auf dem Bild eine derart graziöse, ja tänzerische Energie, dass man glaubte, den Schall der Trompeten, den Klang der Harfen, den Freudengesang der Engel förmlich zu hören.
»Da ist die heilige Katharina.« Die alte Nonne deutete auf einen Seitenflügel, auf dem eine junge Frau mit einem Buch in der Hand abgebildet war, den Blick gen Himmel gewandt. »Auch sie hat ihre Jungfräulichkeit zu Ehren des Allmächtigen bewahrt.«
Als Lucrezia den verklärten Gesichtsausdruck der Heiligen sah, musste sie daran denken, was jetzt von ihr erwartet wurde. Ein schweres Gewicht, fast zu schwer. Sie senkte den Kopf.
»Da ist noch mehr, meine Liebe«, sagte Schwester Pureza. »Vielleicht weißt du ja, dass wir hier im Stefansdom in Prato den Heiligen Gürtel der Jungfrau verwahren, der uns vor den Übeln der Welt beschützt.«
Lucrezia nickte. Sie kannte die Legende über den Heiligen Gürtel der Jungfrau Maria, seit sie ein Kind war. Ja, einmal hatte sie sich sogar einen Gürtel aus grüner Seide genäht und war stolz damit im Garten
Weitere Kostenlose Bücher