Das Bildnis der Novizin
Lucrezia einen heimlichen Blick auf ihre Schwester. Spinetta schien ganz zufrieden zu sein, aber schließlich hatte sie schon immer gewusst, dass sie eines Tages ins Kloster eintreten würde.
»Du musst deinen Geist und deine Seele schulen, Spinetta«, hatte ihre Mutter sie Jahr für Jahr liebevoll ermahnt. »Du bist von Gott, und für Gott bist du bestimmt.«
Mit dieser für sie vorgesehenen Rolle hatte sich Spinetta schon als Kind abgefunden. Lucrezia hingegen hatte die prächtigen Hochzeiten ihrer älteren Schwestern erlebt und geglaubt, auch sie würde einmal so prunkvoll heiraten und Herrin ihres eigenen, prächtigen Palazzos werden. Sie war einem Webermeister versprochen worden, dessen Vater gehofft hatte, sein Vermögen mit dem des reichen Seidenhändlers Signore Lorenzo Buti vereinen zu können. Lucrezia hatte mit fünfzehn angefangen, das Geschäft ihres Vaters zu erlernen, damit sie ihrem zukünftigen Mann einmal zur Seite stehen konnte, wie es die Pflicht einer Kaufmannsgattin war. Von ihrem Vater hatte sie alles gelernt, was es über die Herstellung von Seidenstoffen zu wissen gab; über das Weben und das Färben und welche Kräuter dafür verwendet wurden. Sie hatte zugesehen, wie die winzigen Firenze-Blumen auf die fertigen Stoffbahnen aufgebracht wurden, jene Blümchen, von denen die Stadt ihren Namen hatte. Sie wusste, was zur Herstellung eines wirklich kostbaren, hochwertigen Seidenstoffs vonnöten war, und sie wusste auch, mit welchen Tricks anrüchige Händler minderwertige Ware mit einem falschen Qualitätssiegel zu verhökern suchten. Lucrezia Buti, die in einer Stadt aufgewachsen war, in der sich alles um Putz und Gewänder drehte, wusste um den Wert und die Schönheit von Seide. Sie hatte ihre ganze Zukunft darauf aufgebaut.
Dann war ihr Vater plötzlich gestorben und damit hatten die Schwierigkeiten begonnen. Vertreter der mächtigen Gilde der Seidenhändler, der Arte della Seta , waren aufgetaucht und hatten fälschlich behauptet, die Ware der Butis sei minderwertig. Ein wochenlanger Disput folgte, in dessen Verlauf das ganze Lager auf den Kopf gestellt wurde. Doch die Gildeinspektoren waren nicht zufrieden gewesen. Am Ende hatte man kurzerhand alle Waren beschlagnahmt und sie zusammen mit den Rechnungsbüchern auf einem Holzkarren weggeschafft.
In schwarzer Witwentracht hatte Signora Buti Lucrezia am folgenden Tag zu sich gebeten und sie über die schlimme Lage informiert.
»Alles, was dein Vater dir versprochen hat, ist weg«, hatte sie gesagt, das Kuchentablett unberührt vor sich auf dem Tisch.
»Aber Vater hat doch für meine Aussteuer gesorgt. Antonio wird mich nicht im Stich lassen.«
» Figlia mia cara «, hatte ihre Mutter geantwortet, »meine geliebte Tochter, es ist nichts mehr übrig. Du musst mit Spinetta nach Prato.« Die Augen ihrer Mutter hatten sich mit Tränen gefüllt. »Ihr müsst ins Kloster Santa Margherita.«
Eine Woche später war Lucrezia im Kloster eingetroffen. Und nun fehlte ihr alles: Sie vermisste das Lächeln ihrer Mutter, sie vermisste ihren schlauen Vater, der immer so gut nach Leder und Maulbeeren gerochen hatte. Sie vermisste das kühle Streicheln von Seide auf ihrer Haut und ihre Zofe Beatrice, die ihr mit kräftigen Bürstenstrichen das goldene Haar ausgekämmt hatte. Sie vermisste die Lebendigkeit und Aufregung der Stadt, das Trommeln der Knaben an Festtagen, wenn alles, was Beine hatte, auf den Straßen war und tanzte und sang.
Sie vermisste den Frohsinn, die Vitalität eines Lebens, welches aufzugeben sie nie vorgehabt hatte.
Ein vorsichtiges Kneifen Spinettas riss sie wieder ins Hier und Jetzt zurück. Sie richtete sich auf und tat, als hörte sie der Mutter Oberin zu, sprach mit den anderen das Amen , machte das Kreuzzeichen. Beim Verlassen des Refektoriums trat Schwester Pureza auf Lucrezia zu.
»Liebe Schwester Lucrezia«, sagte die alte Nonne gütig, »ich bin hier in Santa Margherita für die Pflege des Kräutergartens und die Krankenstation verantwortlich und brauche jemanden, der mir hilft. Ich bin nicht mehr so kräftig wie früher, meine alten Knochen wollen nicht mehr so, wie ich will. Ich glaube, du würdest dich gut für diese Arbeit eignen.«
Lucrezia überragte die hutzelige kleine Nonne um Haupteslänge. Sie blickte ins alte Gesicht der Frau und sah deren Weisheit.
»Schwester Camilla kümmert sich um unsere bescheidene kleine Bibliothek und versieht darüber hinaus die Korrespondenz des Klosters. Für diese Aufgabe braucht
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