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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Berühmtheiten. Es ist erstaunlich, was die Leute so denken, wenn man ein- oder zweimal in der Zeitung gestanden hat. Ich versuche das Thema zu wechseln. Die Sängerin singt mir ständig Child In Time vor und fragt mich, wie ich ihre Chancen einer professionellen Karriere einschätze. Hubert spielt sich in den Vordergrund, er pocht auf seine Erfahrung und läßt sie diverse andere Lieder singen.
    Ich flüchte in eine Ecke. Der Weg ist weit. Wäre ich ein Schiff, würde man sagen, ich habe starke Krängung, und ich bin froh, als ich wieder sitze.
    Ich denke über das Buch nach, das ich am Nachmittag gelesen habe. Wie so oft, wenn ich getrunken habe, beginne ich allerhand selbstquälerische und von Selbstmitleid nicht gänzlich freie Fragen aufzuwerfen: Mache ich möglicherweise den gleichen Fehler wie so viele andere Schriftsteller, überschätze ich mich? Bin ich in Wahrheit ein durchschnittlich begabter, leichtgewichtiger Autor, der nie imstande sein wird, ein Meisterwerk zu schreiben, ebenso wie er nie imstande sein wird zu erkennen, was in Wahrheit sein Niveau ist? Das Talent, das ich angeblich habe – ein Irrtum?
    Gut möglich, gut möglich. Außerdem, jetzt verfolgen mich schon Nazis mit idiotischen Kommentaren.
    Ich stelle mich an die Theke. Der Wirt schüttelt mir über dem Tresen die Hand, er heißt Tolja. Ich: »Armdrücken.«
    »Was?«
    »Armdrücken.«
    Er mustert mich von oben bis unten, und offenbar gefällt ihm, was er da sieht, denn was sieht er, einen Bleistiftlutscher. Er setzt sich an einen Tisch und stemmt den Ellbogen auf die Tischplatte. Ich setze mich ihm gegenüber. Sofort sind wir von den anderen umringt. Ich beginne zu drücken, er ist stärker, als ich erwartet habe, oder ich bin schon zu betrunken, aber dann gewinne ich doch. Man merkt Tolja an, wie erstaunt er ist. Mein Siegespreis: ein Schnaps.
    Erwin zieht mich hoch, wir wanken in seine Stammkneipe, die Jausenstation Hirschmann , die er die »Vorhölle« zu nennen pflegt. Das ist ein unbeschreiblicher Schuppen, ein Lokal für gestrandete Existenzen, das vierundzwanzig Stunden am Tag geöffnet hat. Links von mir geht die ältere Frau, rechts die Sängerin, daneben läuft Hubert mit seiner Gitarre, die er irgendwann geholt haben muß.
    Als wir ankommen, sitzen am einzigen größeren Tisch des Lokals eine zahnlose Frau und ein Mann unbestimmbaren Alters mit zerstörtem Gesicht. Als er uns sieht, wird sein Blick starr, und er beginnt am ganzen Leib zu zittern, wie bei einem epileptischen Anfall, nur schwächer. Die Frau steht auf, umarmt ihn und flüstert: »Ganz ruhig … es ist nichts. Ganz ruhig … «
    Wir setzen uns ins Hinterzimmer, ich bestelle Frankfurter und Mineralwasser. Ich bin so hinüber, daß ich meinen Oberschenkel gegen den der älteren Frau dränge. Sie drängt zurück. Bei der Sängerin bin ich abgemeldet, seit ich gesagt habe, sie muß vielleicht noch etwas üben. Hubert hat die Gunst der Stunde erkannt, und sie besprechen eine Zukunft als musikalisches Duo.
    Ein SMS von Daniel: Was???
    Ich will von der älteren Frau wissen, ob sie einen Freund hat usw. Erwin verpaßt mir einen Hieb in die Rippen. Er tippt sich gegen die Stirn. Schließlich flüstert er mir ins Ohr:
    »Was willst du von der alten Frau?«
    Gegen vier Uhr früh ist es soweit. Ich frage, ob sie mich mit nach Hause nimmt. Sie sagt nein.
    »Wie?«
    »Nie am ersten Abend.«
    »Aber… einen zweiten wird es wohl nicht geben.«
    »Na sicher! Hier hast du meine Nummer! Wenn du wieder in Graz bist, rufst du an. Und vielleicht…«
    Ich staune. Ich bin zwar überzeugt, ich hätte einen Rückzieher gemacht, schon weil ich Else nicht erklären müssen will, warum ich die Nacht bei einer dicken Sechzigjährigen verbracht habe. Aber wieso sagt sie nein? Ich dachte, ich sei hier der junge bekannte Schriftsteller, attraktiv, beliebt, charmant, und was ist sie? Sie ist die, die nein sagt. Nein . Ich fasse es nicht.
    Bald darauf verabschiedet sie sich. Ich gehe auf die Toilette und schaue in den Spiegel. Alles beim alten.
    Mit dem Wirt spiele ich ein paar Partien Schach. Ich gewinne. Es ist halb sechs.

Sechzehn
    Frühmorgens, nach weniger als drei Stunden Schlaf, schleppe ich mich in die Küche. Dort steht meine Mutter. Sie trägt nichts als ein Nachthemd, das einem Außenzelt ähnelt. Sie hat schon wieder keine Zähne im Mund.
    »Der Hed geht nt!« klagt sie.
    Es ist nicht ihr erster Besuch bei uns, und noch nie hat sie es morgens auf Anhieb geschafft, den Herd in Gang

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