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Das bin doch ich

Das bin doch ich

Titel: Das bin doch ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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Pavillons notdürftig zu reinigen. Um nach Hause zu laufen und mich umzuziehen, ist es zu spät. Auf meinem Knie prangt ein großer nasser Fleck, durchzogen von schlierigen Vogelkackeresten, die nicht rauszubringen sind. Das Bein naßkalt, humple ich nach unten, ich bestelle ein Kingfisher.
    Bettler kommen vorbei, ich weise sie ab. Mein schlechtes Gewissen ist nicht darunter. Es kommt der sich langsam dahinschleppende Alte, den ich neulich nach Feierabend über die Straße rennen sah, was in mir ein Gefühl sympathisierender Heiterkeit auslöste. Es kommt die verschleierte Romafrau, die jedem schroff und wortlos irgendeine Gazette unter die Nase hält. Es kommen Musikanten. Es kommt der junge Kerl im Rollstuhl, er zeigt auf sein hochgelegtes Bein und ruft: »Bitte! Operation!« Er trägt eine Jacke, auf der steht: A.S.S . Anlagen System Service . Ich frage mich, ob die das wissen.
    Die Vogelgrippe fällt mir ein, ich werde nervös. Könnte das sein? Aber nein, das wäre doch zu verrückt, von einem vogelgrippekranken Vogel angekackt zu werden und daran zu sterben, nein. Keine Unruhe. Es soll sogar Glück bringen, von einem Vogel beschmutzt zu werden.
    Nach einer Weile wird mir die ständige Bettelei so lästig, daß ich, als ein Tisch weiter weg vom Strom der Passanten frei wird, aufstehe und beginne, meine Sachen an den neuen Tisch zu schaffen. Als ich meine Jacke holen will, fummelt gerade irgendein Penner daran herum. Ich reiße sie ihm weg. Er greift nach meinem Besteck. Ich bin schneller.
    »Verschwinde!« zische ich.
    Ein Psychopath. Natürlich. Und zu wem kommt er, zu mir. Ich dränge ihn weg, laufe mit Jacke und Besteck zum neuen Tisch, laufe zurück. Der Psychopath hält gerade mein Cola in der Hand.
    »He!« schreie ich.
    Nun sehe ich ihn zum erstenmal an. Es ist der Fotograf Korn, der mir helfen will, meine Sachen an den anderen Tisch zu tragen. Ich entschuldige mich, er lacht, doch er lacht sowieso immer. Wir setzen uns, Herr Chandihok fragt leise, wie es ihm geht, Korn lacht, sagt »Gut!« und bestellt sich das Menü.
    Der Fotograf Korn hat Leukämie. Ich weiß es von einem gemeinsamen Freund, aber Korn selbst scheut sich nicht, darüber zu sprechen. Wir reden über Flugangst. Er sagt, bis zur Diagnose (das Wort »Diagnose« hat einen grauenvollen Klang) hat er auch unter Flugangst gelitten, aber die ist ihm dann schnell vergangen. Wir reden über Hypochondrie. Er sagt, bis zur Diagnose war er auch sehr hypochondrisch. Er lacht, er lacht laut, die Leute ringsum hören uns zu, er verwendet für meinen Geschmack etwas zu oft grobe Wörter, und seine Lieblingsfloskel ist »Abteilung«: »Das ist eine andere Abteilung«, wenn er sich bei einem Thema nicht auskennt oder etwas nicht schätzt, »das ist nicht meine Abteilung«.
    Ich bemühe mich, nicht zuviel von meiner Hysterie zu reden und von meinen Ängsten, an Vogelgrippe infolge einer Taubenkotattacke zu erkranken, denn das wäre gegenüber einem Leukämiepatienten nicht sehr taktvoll. Korn lacht und redet und lacht, und er tut es laut. Meine Hände, meine Arme, meine Beine zucken, ab und zu schnellt mein ganzer Körper in diese oder jene Richtung. Ich trinke noch ein paar Bier, bis ich Korn zuhören und ihn ansehen kann, ohne ständig das Gefühl zu haben, mich gleich in alle Bestandteile aufzulösen.
    Er hat eine kleine Tochter. Wir reden über Kindererziehung. Ich erwähne, ich werde Stanislaus in eine Privatschule schicken, sofern ich es mir leisten kann. Er ist entrüstet, seine Frida kommt natürlich in eine öffentliche Schule. Ich erkläre, in öffentlichen Schulen ist der Anteil von Kindern, die kaum Deutsch können, eklatant, die Lehrer müssen sich verstärkt um diese Kinder kümmern, wodurch weniger Zeit für Stanislaus bleibt. Er soll aber etwas lernen.
    »Ich finde es wichtiger, daß meine Frida lernt, daß Mehmet ihr Freund ist«, sagt Korn und schießt ein Foto von mir.
    »Das finde ich weniger wichtig als Lesen, Schreiben, Rechnen«, sage ich. »Zumal sie das auch woanders lernen kann. Z.B. bei dir zu Hause.«
    Er beharrt darauf, öffentliche Schulen sind die einzige Möglichkeit. In seiner Schulzeit waren Kinder aus Privatschulen die gräßlichsten Schnösel, mit denen konnte man nicht reden. Ich sage ihm, siehst du, bei dir lernt Frida, daß Mehmet ihr Freund ist, aber Mario, der in die Schnöselschule geht, ist pfui. Korn lacht, macht wieder ein Foto. Gerade stellt mir Herr Chandihok meine Nachspeise hin, Mango Melba, und der

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