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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Gattinnen reglos aus dem Fenster starren, wo ungestüme graue Formen und Strudel toben. Man hört wenig Geplauder, und die gute Laune der Unbelasteten wirkt etwas zu schrill. Niemandes Pläne verlaufen nach Plan.
    Elizabeth führt Derek auf leicht ansteigendem Pfad durch die Ebenen des Wasserfahrzeugs, bis sie am lauschigsten Ort für weiteren Kaffee ankommen: er wirkt wie ein großes Greisentreibhaus. Jenseits der Glaswände sieht man solide Schornsteine, Kabel, Antennen und Empfangsgeräte, die murmeln oder quieken, wenn sie Wind zerschneiden und verwirbeln. Über ihnen rast der Himmel heftig, unter ihnen benimmt sich der Fußboden schlecht, wie er es offenbar nicht lassen kann, doch hier drinnen sind nur feuchte Wärme und reichlich Topfpflanzen, Korbsessel mit Fußhockern, Korbtischchen, reglose Gestalten unter Überdecken und eine im tropischen Stil dekorierte Bar, die etwas verloren an lange Nächte, Dekolletés, leichtsinnige Cocktails und karibische Flirts erinnert. Ein kleiner Mann mit Schnauzer lungert hinter der Bar und fügt sich ins Zubereiten von Tee, Kaffee und womöglich Kakao, vielleicht gar Ovomaltine. Elizabeth stellt sich vor, wie er abends in irgendeinem Lagerraum seine Schachteln voller witziger Strohhalme und bunter Papierschirmchen streichelt, die Gläser ungenutzter Maraschinokirschen zählt und sich oder die Umstände wegwünscht, obwohl doch keins von beiden sich ändern lässt.
    »Soll ich dir einen Bananen-Daiquiri bestellen, bloß um ihn ein bisschen aufzumuntern?«
    »Was?« Derek hat den Weg nicht gut vertragen und sich mit geschlossenen Augen auf eine Sonnenliege hingestreckt.
    »Um den Barmann aufzumuntern – einen Daiquiri …«
    »Würde mich umbringen.«
    »Instantbrühe?« Das war nicht witzig, sie hätte es also nicht sagen sollen. Sie hätte es auch nicht sagen sollen, wenn es witzig gewesen wäre. Er ist durch den Wind – wie die anderen Passagiere: alle durchgeschüttelt, bis sie brechen.
    Derek nimmt inzwischen jeden Stoß persönlich, voller Ingrimm. »Es wird nicht aufhören, oder?« Er klammert sich an die Kanten seiner Liege.
    »Weiß ich nicht. Ich meine, ich kann mich erkundigen. Aber die letzte Durchsage war …« Die letzte Durchsage ließ keine Zweifel daran, dass das Unwetter heute weitergehen und morgen schlimmer werden und übermorgen mit unveränderter Kraft wüten würde. Sie hatten es beide gehört – das war ja das Entscheidende an Schiffsdurchsagen – alle sollten sie hören. Wenn man allerdings gerade Galle hochwürgte, lauschte man vielleicht nicht so aufmerksam.
    »Ich hole dir warmes Wasser.«
    Und Elizabeth hält Wort – ist ehrlich und tut genau das – bringt ihm einen vorsichtshalber nur halb gefüllten Becher mit etwas Tröstlichem für den Flüssigkeitshaushalt, setzt sich neben ihn und überlegt, ob sie ihm noch eine Tablette geben soll, weil das vielleicht hilft, aber auf dem Beipackzettel steht, dass die Pillen Kopfschmerzen hervorrufen könnten – Kopfschmerzen und Albträume, neben anderen Beschwerden – eigentlich dürfte er erst in drei Stunden seine nächste Dosis einnehmen, und eine Überdosis wäre wahrscheinlich schlimm.
    Eine Überdosis Albträume.
    Also geht sie den Deckenstapel suchen, holt eine und entfaltet sie über seinen Beinen, was ihn mit allen anderen im Raum verbindet, mit dem Gefühl, dass sich irgendwo eine Katastrophe ereignet hat oder immer noch ereignet, dass sich hier aber die Überlebenden befinden, friedlich eingeschlossen, wartend.
    Nicht ganz klar, ob wir auf schlimmere oder bessere Zeiten warten.
    Sie streichelt Dereks flachen Handrücken, und er lächelt, also macht sie weiter, nimmt kleine Schlucke vom Kaffee, den ihr der Barmann gemacht hat – das Letzte, was sie braucht, noch mehr Kaffee, sie hätte entkoffeinierten nehmen sollen – und eine ältere Frau mit sehr rotem Lippenstift und überaus bleicher Gesichtsfarbe liest allein einen Agatha-Christie-Roman, und eine andere, gewichtigere Dame – gut angezogen, aber mit geschwollenen Knöcheln und Füßen: hässliche Schuhe an ihren missgestalteten Füßen: Das bedeutet wohl, dass sie stirbt, von einem versagenden Herzen umgebracht wird – kritzelt in ein Rätselheft, und es wird gegähnt und gedöst und auch tief und ungeniert geschlafen – weicher und jünger gewordene Gesichter, geöffnete Lippen, die Anmut der Bewusstlosigkeit.
    Beth erinnert sich daran, mit ihren Eltern in Blackpool gewesen zu sein, weit draußen am Ende eines Piers in einem

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