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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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gläsernen Garten wie diesem – voller Liegestühle und Schläfer und gedämpftem Tageslicht.
    Abendgarderobe für die Abende, aber sonst, was ist das Schiff schon, wenn man es recht betrachtet? Bloß das Ende eines Piers in Bewegung, losgemacht und treibend. Bühnenshows mit Tänzern, hübsche Wetten, die man nicht abschließen sollte, der Glamour durch Abnutzung stumpf geworden, und Souvenirs und jemand, der dir die Zukunft vorhersagt, der so tut, als wüsste er, wer du bist, was du tun wirst.
    Genug davon.
    Irgendwann spürt sie, wie Dereks Muskeln sich ergeben, wie sein Unterarm herabfällt und er mit den anderen weg ist – träumt.
    Ich hoffe, einfach nur träumt – nichts Schlimmes. Keine Albträume.
    Das heißt, sie bleibt hungrig zurück und – warum nicht? – geht zum Büfett – warum nicht? – es ist auf der gleichen Ebene, nicht weit weg, und sie muss essen. Sie hat keine verdächtigen Motive.
    Ich kann mir ein Brötchen holen oder so. Suppe. Derek würde sowieso nicht sehen wollen, wie ich mich mit Suppe beschäftige. Ich lasse ihn in Frieden.
    Und sie wandert hinein, zwischen größtenteils verlassene Gemüsebüfetts unter Wärmelampen, Nudeln, Reis, Fleisch – niemand hier, den sie erkennt – winzige Rechtecke gelierter Desserts, Fleisch, Pastagerichte, Obsttabletts, Fleisch – niemand, den sie kennt – eine obszön üppige Auswahl unberührter Speisen, sorgfältig arrangiert. Fleisch.
    Ich nehme an, in Kürze werden sie die Sachen abräumen, die niemand zu Mittag gegessen hat, und durch die Sachen ersetzen, die niemand zu Abend essen wird.
    Einige wenige Seelen starren hinaus in den Sturm, stochern in Kuchen herum, nippen an ungebärdigen Flüssigkeiten. Sie versucht nicht unbedingt, den Tisch von gestern Abend wiederzufinden, aber da ist er jedenfalls – leer und anscheinend auch nicht angenehmer oder unangenehmer als seine Nachbarn, nicht anders.
    Als Elizabeth darauf wartet, dass ihr ein Sandwich aus den frischestmöglichen Zutaten zubereitet wird, entsprechend der Tradition gepflegter Gastlichkeit der Reederei, tappt jemand neben sie.
    Aber nicht er. Er ist es nicht.
    »Hallo.«
    Dieses Wissen durchrauscht sie so heftig, dass sie sich zum ersten Mal vom Schiff geschüttelt und attackiert fühlt.
    An ihrer Schulter steht der ältere Herr vom Fotografieren: diesmal in Marinesakko und bequemen Schuhen und ganz leicht amüsiert darüber, dass er in so einer Kostümierung steckt – Sakko und passende Hose – und in einem Alter ist, wo es ganz angemessen scheint. Er grinst. »Ich bin Francis.«
    Der gute Gatte.
    »Niemals Frank. Kann ich nicht leiden.« Er ist mit Cracker-Packungen beladen, von denen er jetzt einige in die Tasche steckt, um ihr die Hand schütteln zu können. »Hallo. Ja.« Er beugt sich näher, fühlt sich wohl beim verschwörerischen Flüstern. »Kommt einem immer wie Diebstahl vor, wenn man sie in die Tasche steckt – obwohl wir schon alles bezahlt haben … Obwohl wir alles aufessen und noch mehr verlangen könnten, und sie müssten es uns geben …« Und damit schenkt er ihr das volle Lächeln eines Menschen, der anständig und lieber freundlich ist und sich amüsiert, und der sich keine Mühe mehr damit macht, es zu verbergen. »Wissen Sie … wenn Sie allein sind, wir sitzen gleich da – hinter dem sehr, sehr leeren Pizzastand – offensichtlich verlangt es niemanden bei Windstärke 9 nach Pizza – dahinter sitzt meine Frau, und ich auch gleich wieder – wir essen Käse mit viel mehr Crackern, als wir brauchen, und nicht genug Obst.« Er spielt jetzt die Rolle eines unkonzentrierten Alten und hat Spaß daran. »Meinen Sie, wenn ich Ihnen ein paar Weintrauben zu tragen gäbe …? Ich müsste eigentlich nur ein Tablett finden … Nur, wenn Sie Gesellschaft wollen. Nur wenn Sie allein sind.«
    Elizabeth ist allein.
    »Bunny und ich, wir haben inzwischen alles gehört, was wir jemals zueinander sagen könnten. Wir sehnen uns nach Fremden.«
    Elizabeth ist erschöpft und schlimm überdreht vom Koffein, und ganz plötzlich, scharf und schnell, unerträglich allein.
    Er legt den Kopf schief, schweigt, und Beth weiß, dass er etwas in ihr sieht, was er lieber nicht sehen sollte, wenn es nach ihr ginge. »Vor Kidnapping scheuen wir natürlich zurück.«
    Wieder schweigt er, zwinkert, umfängt ihren Ellbogen sanft mit der Hand.
    So dass er den Knochen spürt – kleiner Knochen, großer Knochen, kleiner Knochen … Aber bitte weck mich nicht auf.
    »Ihr Sandwich ist fertig

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