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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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entdeckt werden könnten, als Mara selbst. Eine Kindheit lang war sie gehorsam und gefügig gewesen und hatte nichts getan, was sie mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Inzwischen überließ sie sich hin und wieder Gedanken, die ein Kind des Mondes eigentlich nicht haben durfte, und sie schrieb Tagebuch, was streng verboten war, aber im Großen und Ganzen befolgte sie die Regeln und achtete die Gesetze.
    Mara lächelte. Jana war so geradlinig, offen und gut, dass man sie einfach lieb haben musste. Sie war ein Geschenk des Himmels. Mara wagte gar nicht, daran zu denken, was ohne sie aus ihr geworden wäre. Auch Timon war damit einverstanden, dass Jana ihr Geheimnis kannte. Bei niemandem war es sicherer aufgehoben als bei ihr.
    Und dann hatte jemand es entdeckt.
    Sie hatten nicht erfahren, wer es gewesen war.
    Jemand hatte sie gesehen. Jemand hatte sie verraten.
    Und dann hatten die Verhöre begonnen.

    Bis zum Abend arbeitete Marlon am Zaun. Sein Vater fuhr wieder den Traktor. Er hatte heute weniger Schmerzen. Die Wärme tat seinem Rücken gut.
    Wolken von Mücken tanzten in der Luft. Die Vögel sangen, als kriegten sie es bezahlt. Der Himmel war blau und weit.
    »Den Draht«, sagte der Vater, als sie sich auf den Heimweg machten, »spanne ich allein. Du hast dir einen freien Tag verdient.«
    Marlon kratzte sich den Nacken. Die Mücken hatten ihm arg zugesetzt. Sie schienen ganz wild auf sein Blut zu sein. »Sollte ich mir nicht besser mal das Dach vornehmen, bevor wir beim nächsten Gewitter alle ertrinken?«
    Der Vater wischte das mit einer Handbewegung beiseite. »Mach jetzt Schluss, Marlon. Beim Melken können mir heute die Mädchen helfen.«
    Marlon nickte. Freizeit war ein Wort mit gutem Klang. Er hatte so wenig davon, dass er jede einzelne Stunde genoss, die er ganz für sich hatte.
    »Und du bist sicher, dass du mit dem Zaun allein zurechtkommst?«
    Sein Vater lachte.
    »Ich frag ja nur.«
    »Hör zu, mein Junge, alles, was du kannst, habe ich dir beigebracht. Unterschätze deinen alten Herrn also nicht.«
    »Ja, Sir!«
    Marlon mochte die Art, wie die jungen Männer in amerikanischen Filmen mit ihren Vätern reden. Dieses unvermittelt auftauchende
Sir
, wenn sie ihren Respekt ausdrücken wollen.
    Sein Vater schmunzelte. Er schmunzelte noch, als sie auf den Hof fuhren.
    Marlon koppelte den Anhänger ab, fegte ihn sauber und ging ins Haus, um zu duschen. Er hatte zeitweise mit bloßem Oberkörper gearbeitet. Jetzt brannte das heiße Wasser auf der Haut und ließ sie nach der Sonne eines langen Nachmittags duften.
    Das Bad war dunkelgrün gekachelt. Es wirkte düster und altmodisch und war ziemlich heruntergekommen. Ein paar Fliesen hingen schief und auf die gelblichen Fugen, die einmal weiß gewesen waren, hatte sich schwarzer Pilz gesetzt. Das Porzellan der Duschtasse hatte einen Sprung.
    Man müsste vier Hände haben, dachte Marlon, und selbst die wären für dieses Haus nicht genug. Auf dem Duschvorhang flogen dunkle Vögel. Die Mutter hatte den Vorhang schon zweimal gegen einen neuen ausgetauscht, aber sie hatte jedes Mal dasselbe Motiv gewählt.
    Marlon trocknete sich ab. Die frischen Sachen, die er auf den Hocker gelegt hatte, waren an der Stelle, an denen sie die Wandfliesen berührt hatten, vom Schwitzwasser nass geworden. Das machte ihm nichts aus, sie würden bei dieser Hitze rasch wieder trocknen. Er zog sich an, kämmte sich mit den Fingern das Haar und ging nach unten zum Abendessen.
    »Sie haben wieder jemanden in das Strafhaus gebracht«, erzählte Marlene.
    »Ein Mädchen.« Greta zog die Schultern zusammen, als wäre ihr kalt.
    Marlon erstarrte.
    »Wie schrecklich.« Die Mutter schenkte Tee ein. »Das sind richtige Barbaren.«
    »Aber wir haben doch auch Gefängnisse«, sagte Greta. »Ist das etwa keine Barbarei?«
    »Woher wisst ihr das überhaupt? Ihr sollt nicht bei denen da rumlungern. Das hab ich euch schon hundertmal gepredigt.«
    »Wir lungern da nicht rum.« Marlene ließ die Verärgerung des Vaters mit einem Achselzucken an sich abtropfen. »Irgendwer in der Schule hat es erzählt.«
    »Ein Mädchen?«, fragte Marlon. »Was für ein Mädchen?«
    »Ist das denn so wichtig?« Greta suchte nach einer besonders dünnen Scheibe Brot. Marlene und sie waren mal wieder auf Diät.
    »Sag's mir einfach, wenn du es weißt.«
    »Kenn ich nicht«, sagte Greta, beleidigt wegen seines schroffen Tons. »Eins mit dunklen Haaren.«
    Marlon entspannte sich. Ein Mädchen mit dunklem Haar.
Sie
war

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