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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Mama.«
    Sie sah auf. In ihrem Haar hing ein Klümpchen trockener Erde.
    »Hab noch was für den Fotokurs zu erledigen.« Marlon hob, wie zum Beweis, die Kamera in die Höhe.
    »Weißt du schon, wann du zurück sein wirst?«
    »Nein. Ihr braucht mit dem Essen nicht auf mich zu warten.«
    Sie beugte sich wieder über das Beet, hatte keinen Verdacht geschöpft.
    Verdacht geschöpft, dachte Marlon, so ein Quatsch. Kann ich nicht tun und lassen, was ich will?

    La Lune hatte sich eigens herbemüht. Sie saß auf dem schlichten Holzstuhl wie eine Königin auf ihrem Thron, neigte grüßend den Kopf, hob dann die Hand und wies auf den zweiten Stuhl.
    Mara setzte sich. Das Sonnenlicht, das durch das kleine Fenster fiel, lag auf ihrem Gesicht und machte es zu einem offenen Buch. Hinter ihr verschwand Karen, die sie hierher geführt hatte, auf leisen Sohlen und ließ sie mit La Lune allein.
    Der Raum war nicht viel größer als das Zimmer, in das Mara verbannt worden war. Die einzigen Möbelstücke waren der Tisch und die beiden Stühle. In eine der Wände war eine Nische eingelassen, in der eine Statue der Mondheit stand.
    »Wie geht es dir?« La Lune lächelte.
    Mara hob die Schultern. Konnte La Lune sich nicht vorstellen, wie es einem im Strafhaus ging? Sie hatte es doch selbst erbauen lassen und die Regeln festgelegt. Absolute Isolation. Kein Wort von Karen und Elsbeth außer bei den Gebeten morgens und abends und die waren an die Mondheit gerichtet.
    La Lune betrachtete Mara mit einer Aufmerksamkeit, der nichts, keine noch so leise Regung, entging.
    »Es tut mir weh, dich leiden zu sehen«, sagte sie.
    Noch vor ein paar Tagen hätte Mara ihr das geglaubt. Jetzt nicht mehr. Sie glaubte ihr auch das Lächeln nicht mehr, das sie als Kind so geliebt hatte. Sie senkte den Blick und sah auf den Tisch.
    Die Maserung des hellen Holzes gefiel ihr und sie fuhr ihr mit der flachen Hand nach. Sie fasste Holz gern an. Eine der ersten Gemeinsamkeiten, die sie mit Timon entdeckt hatte. Wenn sie nicht verraten worden wären, hätte sie versuchen können, ab und zu für die Arbeit in der Tischlerei eingeteilt zu werden. Dann hätte sie stundenlang in Timons Nähe sein können, ohne die Aufmerksamkeit der andern zu erregen.
    Doch das war jetzt vorbei. In Zukunft würde man sie im Auge behalten.
    »Ich möchte mit dir reden«, sagte La Lune.
    Obwohl Mara sich in ihr Schweigen kauerte, verschwand das Lächeln nicht von La Lunes Gesicht. Es war sorgfältig geschminkt. Mara hatte es noch nie nackt gesehen. Die erwachsenen Frauen durften Make-up benutzen. Aber nur wenige taten es. Niemand kannte das genaue Alter von La Lune. Mara schätzte es auf Anfang Sechzig. Dass La Lune wesentlich jünger wirkte, hatte sie wahrscheinlich der Fähigkeit zu verdanken, sich geschickt zurechtzumachen.
    Mara hatte keine Lust, mit ihr zu reden. Sie hatte keine Lust, nach ihren Träumen gefragt zu werden. Das war der einzige Vorteil im Strafhaus: Sie musste an den abendlichen Gesprächen nicht teilnehmen. Sie brauchte nichts zu offenbaren, was sie nicht wollte. Vor allem zwang niemand sie dazu, über ihre Träume zu sprechen.
    Träume waren der nicht fassbare Teil eines Menschen. Sie konnten weder vom Träumenden selbst kontrolliert werden, noch von den Traumdeutern der Kinder des Mondes. Träume waren verräterisch. Manche wurden von den Traumdeutern aufgeschrieben und aufbewahrt.
    Träume sind der Spiegel unserer Seele.
    Aber keiner kann in meine Seele gucken, dachte Mara, nicht mal du, La Lune. Und wenn ich meine Träume für mich behalte, dann ist meine Seele für dich fremdes Land.
    Das hatte sie erst spät gelernt, ihre Träume zu verschweigen und stattdessen Lügen zu erzählen. Als Kind hatte sie jede Einzelheit bereitwillig vor den Traumdeutern ausgebreitet. Sie hatten alles umgekrempelt, von innen nach außen gekehrt, nachgefragt, gebohrt und gebohrt. Und sehr auf Mara Acht gegeben.
    Vielleicht hatten ihre eigenen Träume sie schon damals denunziert. Mara hatte das Zeug zur Verräterin am Glauben.
    Deshalb saß sie jetzt ja auch hier.
    Sie hätte La Lune gern eine Frage gestellt. Sie musste in Erfahrung bringen, was mit Timon geschehen war. Befand er sich auch im Strafhaus? Hatte er eine noch härtere Strafe bekommen? Aber La Lune würde ihr nicht antworten. Also brauchte Mara sich gar nicht erst die Blöße zu geben, sie darum zu bitten.
    »Du willst nicht reden?« La Lune stand auf und ihr Schatten fiel auf Maras Gesicht. »Dann vielleicht später. Ich

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