Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
Vom Netzwerk:
werde wiederkommen.« Sie lächelte auf Mara herab. »Ich komme immer wieder, mein Kind.«

    Marlon hatte die Kamera nur mitgenommen, um sich unauffällig überall bewegen zu können, doch dann hatte es ihn wieder gepackt und er fotografierte tatsächlich.
    »Das Wichtigste«, sagte Stauffer immer, »ist der Blick. Wenn Sie den Blick nicht haben, können Sie Ihre Kamera verkaufen, dann nützt sie Ihnen nämlich nichts. Oder Sie behalten sie und fotografieren auf Hochzeiten, Taufen und Geburtstagen. Solche Fotos haben durchaus ihren Wert – fürs Familienalbum.«
    Marlon hatte angeblich diesen Blick, obwohl ihm nicht klar war, was daran so besonders sein sollte. Er überlegte nie, aus welchem Winkel er ein Motiv aufnehmen sollte. Er tat es einfach.
    »Die Kamera ist ein verlängertes Auge.«
    Auch das sagte Stauffer gern. Marlon stellte sich das vor, ein verlängertes Auge, und lachte in sich hinein. Als wären alle Fotografen Bewohner vom Mars oder Figuren auf einem Gemälde von Dalí.
    Die Gebäude der Kinder des Mondes brachten ihn schon wieder durcheinander. Wann immer er sie sah, fand er sie faszinierend. Ihre strenge, schnörkellose Form gefiel ihm und rief gleichzeitig ein unbehagliches Gefühl in ihm hervor.
    Er erinnerte sich an einen Fotoband, den er einmal in der Bücherei des Nachbarorts ausgeliehen hatte. Darin waren Häuser abgebildet, die experimentell arbeitende Architekten in Amerika gebaut hatten. Häuser, die sich der Landschaft anpassten, als seien sie natürlich hineingewachsen. Wie rundgehauener Fels sahen sie aus, wie vor Ewigkeiten gestrandete, längst versteinerte Wale. Wären nicht die Fenster aus buntem, schimmerndem Glas gewesen.
    In den Gebäuden der Kinder des Mondes gab es keine bunten Fenster. Das Licht der Sonne brachte das Glas zum Gleißen wie die Augen eines Drachen im Märchen, kurz bevor er Feuer spuckt.
    Eine Frau mit einem Korb voller Salat kam Marlon entgegen und grüßte ihn mit einem scheuen Lächeln. Sie waren immer sehr freundlich, blieben jedoch nie stehen, um ein Gespräch zu beginnen. Die Frau war mit dem cremefarbenen Gewand bekleidet, das alle Frauen der Sekte trugen, bis auf diese La Lune, ihren Führungsstab und die Frauen, die für das Strafhaus zuständig waren. Der Anhänger ihrer Kette, ein Mond aus Silber von der Größe eines Fünfmarkstücks, glänzte in der Sonne. Sie alle trugen diesen Silbermond um den Hals, nur die Kinder nicht. Vielleicht, weil sie die Kette zu leicht verlieren konnten.
    Im Bereich der Kinder des Mondes fotografierte Marlon nicht. Es hätte als Provokation aufgefasst werden können. Er tat einfach so, als sei er auf dem Weg irgendwohin.
    Das Strafhaus auf dem Hügel war nicht zu übersehen. Die kleinen Gitterfenster waren so hoch oben angebracht, dass sie entfernte Ähnlichkeit mit Burgfenstern hatten. Eine Frau im roten Gewand trat aus der Tür, hob einen schweren Blumenkübel hoch und verschwand mit ihm hinter dem Haus.
    Marlon ging langsamer. Was erwartete er, hier zu entdecken? An keinem der Fenster würde ein Kopf auftauchen. Niemand würde herauskommen, höchstens eine weitere dieser rot gekleideten Frauen und die konnte er schlecht ansprechen. Selbst wenn sie ihm zuhören würde – was sollte er sie fragen? Er wusste den Namen des Mädchens nicht. Er wusste gar nichts über sie.
    Und jede Frage, gleichgültig, wie vorsichtig formuliert, würde ihr womöglich schaden.
    Dieser Ausflug war völlig umsonst gewesen. Marlon hatte es plötzlich eilig, von hier wegzukommen. Nur noch am Kinderhaus vorbei, wo die Kleinen im Garten spielten, und an der Tischlerei, dann wäre er wieder auf vertrautem Boden.
    Ein blondes, vielleicht fünfjähriges Mädchen kam auf ihn zugelaufen.
    »Hallo«, sagte sie. »Ich bin Miri.«
    Er war so überrascht, dass er stehen blieb.
    »Und wie heißt du?«, fragte sie und legte den Kopf schief.
    »Marlon.«
    Sie lachte ihn an, ohne jede Scheu. »Ich hab dich oft schon gesehen. Auf dem grünen Traktor.«
    Die Reihenfolge ihrer Worte stimmte nicht ganz. Marlon lächelte.
    »Und wie du mal eine Kuh gesucht hast. Und dann hast du sie gefunden. Und mit einem kleinen Stock geschlagen«, setzte sie vorwurfsvoll hinzu. »La Lune sagt, man darf aber keinen schlagen. Auch kein Tier.«
    »Ich habe sie nicht geschlagen.« Marlon ging in die Hocke, damit ihre Augen etwa auf gleicher Höhe waren. »Ich habe sie nur angetrieben. Kühe sind schwerfällig und eigensinnig. Die kommen nicht einfach mit, wenn man sie höflich

Weitere Kostenlose Bücher