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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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noch war. Liebte sie diesen Wald nicht vor allem deshalb, weil sie hier unbeobachtet war? Weil hier keine Statue der Mondheit stand? Hier hatte niemand Macht über sie. Nicht einmal die Mondheit.
    Aber stimmte das wirklich?
    Jana sah sich um. Sie war umgeben von dichtem Grün. Irgendwo hämmerte ein Specht. Das war das einzige Geräusch.
    Der Tag ging zu Ende. Die Nacht kam. Die Nacht und der Mond mit seinem kalten Licht.

12
    Marlon hatte den Wald schon immer gemocht. Nie zuvor war er hier jemandem begegnet. Es war kein Wald zum Spazierengehen. Die Wege waren zu schmal und von Gestrüpp fast zugewachsen. Er zog auch die Kinder nicht an. Vielleicht war er ihnen zu still und zu unheimlich. Vor allem die Tümpel strahlten etwas aus, vor dem man sich leicht fürchten konnte.
    Richtig entdeckt hatte Marlon den Wald erst mit der Kamera. Vielleicht hatte er hier überhaupt erst gelernt zu sehen. Die schrägen Streifen von Licht am frühen Morgen, wenn es noch dunstig war. Der Dampf, der nach einem Sommerregen vom Boden aufstieg. Die dünne Eisschicht auf den Pfützen an frostigen Wintertagen.
    Immer wieder war Marlon hergekommen, um zu fotografieren.
    Der Wald hatte ihm gehört.
    Und Jana.
    Aber davon hatte er nichts geahnt.
    Irgendwo hämmerte ein Specht. Es klang wie das Klopfen an einer weit entfernten Tür.
    An der Lichtung angekommen, hielt Marlon Ausschau nach einem Schimmer von Blau in all dem Grün. Der Hund hechelte, lahmte auch wieder.
    Kein Blau. Nirgendwo.
    Marlon setzte sich auf einen umgekippten Baumstamm. Diesmal würde er nicht einschlafen, egal wie lange es dauerte. Der Hund legte sich schnaufend vor ihm nieder und Marlon wartete.

    »Ich hatte vergessen, wie schön es ist, dich zu küssen«, flüsterte Mara.
    »Ich nicht.« Timon küsste sie noch einmal.
    »Nicht einen Moment lang habe ich geglaubt, dass du mich verraten hättest.«
    »Sie haben versucht, mich dazu zu bringen.«
    Sein Atem kitzelte sie am Ohr.
    »Gespräche mit La Lune und mit dem engsten Kreis, endlose Sitzungen mit den Traumdeutern. Ich habe ihnen allen gesagt, was sie hören wollten.« Er lachte leise. »Ich hab die tollsten Träume erfunden. Sie waren ganz begeistert davon.«
    Bestürzt sah Mara ihn an.
    »Das war ein gefährliches Spiel!«
    »Na und? Habe ich es nicht gewonnen?«
    Auch dieses Treffen war gefährlich, viel gefährlicher als alle Treffen vorher.
    »Keine Angst.« Timon schien ihre Gedanken erraten zu haben. »Niemand hat mich gesehen.«
    Niemand hat mich gesehen
.
    Wie oft sie diese Worte ausgesprochen hatten. Sie waren fast zu einer Beschwörungsformel geworden.
    Niemand hat mich gesehen.
    Und dann hatte sie doch jemand beobachtet. Und La Lune informiert. Und La Lune hatte Mara ins Strafhaus verbannt. Und Timon umgedreht. Zumindest musste sie glauben, dass sie es geschafft hätte.
    In Wirklichkeit hatte Timon sie an der Nase herumgeführt.
    Wie stark er sein konnte, wenn es darauf ankam. Und wie sanft.
    Maras Hände nestelten an den Knöpfen seines Hemds, ihre Lippen glitten über seinen Hals. Timon öffnete Maras Bluse und sie drückten sich aneinander.
    Ihre Haut erinnerte sich. An alles.
    Ein Geräusch von draußen ließ sie zusammenfahren. Rasch brachten sie ihre Kleider in Ordnung. Aber es kam niemand herein.
    »Ist vielleicht besser so«, sagte Timon. »Es macht mich ganz nervös, dass er uns dabei zusehen kann, selbst wenn er nur aus Holz ist.« Er sah zum Kreuz hinüber. »Wir haben alle Zeit der Welt.«
    Mara legte den Kopf an seine Schulter.
    »Nein, Timon. Haben wir nicht.« Leise berichtete sie ihm von ihrem letzten Gespräch mit La Lune.
    »Willst du nicht wissen, womit ich in den vergangenen Wochen meine Zeit verbracht habe?«, fragte Timon. Seiner Stimme hörte Mara an, dass er lächelte.
    »Erzähl's mir.«
    »Ich habe an unserem Fluchtplan gearbeitet.«
    Und er setzte ihr seinen Plan auseinander, während Mara auf die Kerzen blickte, von denen eine für Timon brannte und eine für sie.

    Nur die Hoffnung, dass Marlon da sein würde, trieb Jana weiter. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, nahm verdächtige Schatten hinter den Büschen wahr, meinte zu sehen, wie sich Zweige bewegten, wo kein Windhauch war.
    Irgendwo knackte es.
    Jana blieb stehen. Noch konnte sie umkehren. Was hatte sie schließlich getan? Einen Spaziergang gemacht. Niemand hatte ihr verboten, in den Wald zu gehen.
    Noch war nichts geschehen.
    Lügnerin, dachte sie. Du hast mit ihm gesprochen, du hast mit ihm gelacht und dann

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