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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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nicht bleiben wollte.«
    Der Hund gähnte und sah Marlon aus dunklen, unergründlichen Augen an.
    Janas Hände hatten ihn gestreichelt, jahrelang. Es hatte immer eine Verbindung zwischen Marlon und ihr gegeben und keiner von ihnen hatte es geahnt.
    »Du durchtriebener alter Mistkerl«, sagte Marlon.
    Jana legte dem Hund die Hand auf den Kopf. »Beschimpf ihn nicht. Das hat er nicht verdient. Er war immer für mich da, hat mir zugehört und mich getröstet, wenn ich traurig war. Er kennt all meine Geheimnisse. Fast alle.« Sie stockte und wurde rot. »Ich habe ihn ja länger nicht gesehen.«
    Der Hund leckte ihr die Hand und schlief wieder ein.
    »Bei mir war es genauso«, sagte Marlon. »Manchmal hab ich auf ihn eingeredet, dass ich dachte, ihm fallen die Ohren ab.«
    »Oh nein, wo er doch so schöne weiche Schlappohren hat.«
    Sie zupfte den Hund zärtlich an den Ohren. Wahrscheinlich, dachte Marlon, dürfte sie ihm sogar das Bauchfell kraulen, ohne dass er zuschnappen würde.
    »Dann gehört er also eigentlich uns beiden«, sagte er. »An den Gedanken muss ich mich erst gewöhnen.«
    Jana schüttelte den Kopf. »Kein Wesen gehört einem anderen. Wir Menschen haben uns die Welt nur so eingerichtet, dass wir über die Tiere verfügen.«
    »Und das sagst du dem Sohn eines Bauern?«
    »Ist es denn nicht so?«
    »Wir leben von unseren Tieren«, sagte Marlon. »Wir verkaufen ihre Milch, ihre Eier und ihr Fleisch.«
    Jana schauderte.
    »Ihr esst kein Fleisch?«
    »Nein.« Jana sah ihn offen an. »Ich kann mir nicht einmal vorstellen, Tiere zu töten und dann ihr Fleisch zu essen.«
    »Und wenn es keine andere Möglichkeit gäbe?«, fragte Marlon. »Würdest du dann lieber verhungern?«
    »Es gibt andere Möglichkeiten.«
    Sie hatte das freundlich gesagt und doch stieß es Marlon vor den Kopf.
    »Aber ihr habt Kühe«, sagte er, als müsste er ihr etwas beweisen. »Und Hühner.«
    »Wir trinken die Milch und essen die Eier, aber wir schlachten die Tiere nicht.«
    Marlon nickte. Wie ein alter Mann, dem die Welt zu vertraut geworden war, saß er da und nickte. Hinter jedem weiteren Wort zwischen ihnen würde sich eine Kluft auftun. Es war vielleicht besser, den Mund zu halten.
    »Für euch ist die Sonne heilig«, sagte Jana, »für uns der Mond.« Sie hatte genau gespürt, was in ihm vorging.
    »Nein«, widersprach Marlon. »Die Sonne ist uns nicht heilig.«
    Erstaunt sah Jana ihn an.
    »Aber ihr feiert doch den Sonntag.«
    »Das ist ein Überbleibsel aus uralten Zeiten«, sagte Marlon. »Damals wurde der Tag nach der Sonne benannt. Im Christentum wurde der Sonntag zum Tag Gottes. Er ist einfach ein Tag zum Innehalten, ein Tag der Ruhe, an dem nicht gearbeitet werden darf. Für manche Berufe gilt das nicht, zum Beispiel für uns Bauern. Wir müssen das Vieh versorgen, müssen aufs Feld, wenn das Wetter günstig ist. Sonntage gibt es für uns nur im Kalender. Und manchmal schaffen meine Eltern es, in die Kirche zu gehen.«
    »Du nicht?«
    »Nein.«
    »Was tun sie in der Kirche?«
    »Sie beten. Und feiern eine Messe.«
    »Eine Messe.« Marlon sah, dass sie über das Wort nachdachte. »Für euren Gott?«
    »Ja.«
    »Wie sieht er aus, euer Gott?«
    Es war lange her, seit Marlon zuletzt über Gott nachgedacht hatte.
    »Sein Sohn war ein Mensch«, sagte er. »Aber gleichzeitig war er auch Gott.«
    Jana runzelte die Stirn.
    »Wie ist das möglich?«
    »So was fragst du mich besser nicht, Jana. Ich weiß ja nicht einmal mehr, ob ich noch an Gott glaube. Vielleicht ist er für jeden Menschen etwas anderes.«
    »Dann wäre er nur eine Illusion.« Unwillkürlich glitten ihre Finger über den Mond an ihrer Kette.
    »Erzähl mir von deinem Leben«, sagte Marlon. »Ich möchte es verstehen.«
    »Und du mir von deinem.« Jana lächelte. »Morgen? Um dieselbe Zeit?«
    »Musst du denn schon gehen?«
    Als hätte die Berührung des Silbermonds sie zurückgerufen. Sie war plötzlich wieder unruhig. Auch der Hund schien es zu spüren, denn er hob den Kopf.
    »Ja«, sagte Marlon. »Morgen.«
    Sie standen auf. Marlon beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie wich zurück und lief los.

    So bald schon!
    Mara trug das Geschirr in die Küche. Sie war froh, dass sie heute Abend Küchendienst hatte. Das verschaffte ihr eine Atempause. Sie musste sich darüber klar werden, was sie Jana sagen sollte.
    Timon hatte es ihr überlassen. Er hatte nicht von ihr verlangt zu schweigen. Mit Jana hatte er Frieden geschlossen, ganz für sich allein,

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