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Das blaue Siegel

Das blaue Siegel

Titel: Das blaue Siegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Twardowski
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Er hatte sogar im Eis überwintert, und Collinson wusste, dass allein seine Protektion innerhalb der Admiralität ihm das Kommando verschafft hatte, von dem viele meinten, dass es McClure gebührt hätte.
    Eine schwierige Situation für die beiden Männer, die Collinson mit einer Einladung zum Mittagessen und einer selbst angesetzten Schale Punsch so weit wie möglich zu entschärfen hoffte. Glücklicherweise hatte sich Robert John Le Mesurier McClure als integrer Mann und loyaler Untergebener gezeigt. Hatte seine Erfahrungen mit dem Eis und dem Schiff in die Unterhaltung einfließen lassen, ohne aber im Geringsten in Zweifel zu ziehen, wer auf dieser Reise die Zügel in der Hand halten würde. Collinson hatte sich sogar schon ein wenig darüber gewundert, dass der Ire so gar kein Problem damit hatte, wieder nur zweiter Mann zu sein. Ihm selbst wäre das weit schwerer gefallen.
    »Wie kommen Sie zu diesem französischen Namen?«, fragte er jovial und nachdem ihm vom Punsch schon so warm geworden war, dass er seine kleine runde Brille putzen musste.
    »Mein Vater, Sir«, antwortete der Ire, die langen Beine weit von sich gestreckt und die Pfeife mit Collinsons Erlaubnis zwischen den Zähnen, »starb, ehe ich geboren wurde. Sein Kriegskamerad Captain John Le Mesurier sorgte für mich. Er war halb Schotte und halb Franzose.«
    »Oh«, Collinson lächelte, »so eine alte Stuart-Geschichte, wie?«
    »Ay, Sir!«, sagte McClure durch den Rauch seiner Pfeife.
    »Halten Sie sechs Monate für realistisch?« Collinson wurde nach einer längeren Pause wieder dienstlich. »Diese Schachteln sind entsetzlich langsam!« Er hatte im Chinesischen Meer stets Kriegsschiffe kommandiert und konnte sich mit den beiden vergleichsweise plumpen ehemaligen Walfängern nur schwer anfreunden.
    »Sie segeln stetig, Sir, auch bei schwerem Wetter. Und wir müssen spätestens im August in der Beringstraße sein, besser noch mitten im Eis, wenn das Ganze überhaupt Zweck haben soll.«
    Collinson stutzte ein wenig. War das vorsichtige Kritik an den Plänen der Admiralität? Hielt dieser verdammte rothaarige Eisfahrer das ganze Unternehmen für aussichtslos? Hatte er sich deshalb in seine untergeordnete Rolle gefügt?
     

8.
     
    Die Welt, die Zeitungen spotteten bereits. Wenn ein britischer Polarforscher in der Arktis einen Bach entdeckt, schickt die Regierung Ihrer Majestät zehn Expeditionen aus: eine, um den Bach zu erforschen, und neun, um sich gegenseitig zu suchen!
    Tatsächlich hatte die Suche nach Franklin das Königreich schon über eine Million Pfund gekostet, ohne dass neunzehn Expeditionen, zu Land und zu Wasser, von den hundertdreißig Männern, zwei Schiffen und dem ehrenwerten Sir John auch nur die geringste Spur gefunden hatten. Man hatte den gesamten Westen abgesucht, Frobisher, Hudson Strait, Fox Channel, den Lancaster Sound hinein und die Barrow Strait entlang jeden Kurs gesteuert, den der Mann vernünftigerweise hätte einschlagen können. Nichts. Keine Trümmer, keine Flaschenpost, keine Depots. Es war, als seien Erebus und Terror schon im Nordatlantik mit Mann und Maus untergegangen.
    Franklin war nun fünf Jahre fort und seit drei Jahren überfällig. Diese Unternehmung würde die letzte sein, die Hilfe bringen oder vielleicht sogar Überlebende finden könnte. Die Überlegung der Admiralität war ganz einfach. Man hatte versucht, Franklins Spur dort zu verfolgen, wo er in die Nordwestpassage eingedrungen war, von der Baffin Bay aus nach Westen. Wäre es nicht viel logischer, den Mann und die Schiffe Ihrer Majestät Königin Viktorias dort zu suchen, wo sie irgendwann wieder herauskommen mussten, nämlich im Norden Alaskas und von der Beringstraße aus?!
    Diese Idee auszuführen waren Kapitän Collinson und sein Commander McClure im Begriff – auch wenn das, sozusagen als »Anlauf«, eine Reise um Südamerika und der Länge nach nicht durch einen, sondern gleich zwei Ozeane bedeutete. Sie blieben dabei so ruhig, wie es nur Offiziere der britischen Royal Navy in der Mitte des 19. Jahrhunderts sein konnten, denn, da waren sie mit ihrer Zeit einig, ihnen gehörten ja die Welt und ihre Meere.
     
    Collinson füllte die Gläser gerade noch einmal auf, als es klopfte.
    »Der Dolmetscher, Sir!«
    Kapitän und Commander erhoben sich, als die beiden schwarz gekleideten Männer die Kajüte betraten und ihre tropfenden Hüte abnahmen.
    »Einen Punsch, meine Herren?«, fragte Collinson, wurde sich der Zweifelhaftigkeit seines Angebots

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