Das Blumenorakel
in der Welt wollte Sabine hier? Schon umarmte der Mann die Magd und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Und wie begehrlich er sie dabei anschaute â¦
»Herr Semmel â darf ich Ihnen Flora vorstellen? Sie kommt auch aus Württemberg und hilft ab jetzt im Blumenladen.«
Flora lieà es wohl oder übel zu, dass der Mann ihr seine blutverschmierte Pranke reichte. Er sei von der Schwäbischen Alb, aber die Liebe habe ihn vor vielen Jahren hierhergeführt, erklärte er ihr. Die Liebe sei allerdings längst weg und er würde auf eine neue warten, fügte er hinzu und sah Sabine an. Sie schwieg beharrlich.
»Und? Hätten die Württemberger Mädchen Lust auf einen Teller Metzelsuppe?« Auffordernd nickte der Mann in Richtung Schlachterei.
Flora und Sabine schauten sich an. »Und ob!«, sagten beide wie aus einem Mund.
»Du weiÃt wirklich, wo hier in der Stadt der fetteste Speck hängt«, stellte Flora fest, als sie sich nach einem Teller Suppe wieder auf den Weg machten. Zum ersten Mal an diesem Tag fühlte sich ihr Bauch warm und satt an. Genussvoll biss sie in die Wurst, die der Metzger ihnen zum Abschied noch geschenkt hatte.
»Und das im wörtlichen Sinne!«, entgegnete Sabine lachend. »Man muss schlieÃlich sehen, wo man bleibt, nicht wahr? Heute gehen wir nicht hungrig ins Bett.«
»Sag â können wir noch einen Blick in die Trinkhalle des jungen Herrn werfen?«, fragte Flora.
Sabine verzog das Gesicht. »Muss das sein? Rein kommen wir jetzt eh nicht mehr, und selbst wenn offen wäre â das Wasser schmeckt einfach grässlich! Einmal hab ichs versucht, es kostet ja nichts. Aber dafür tät auch sicher niemand was zahlen! Spazieren wir doch lieber an den Hotels entlang, wo die feinen Kurgäste wohnen!«
Sabine schlug vor, den Weg über die Promenade zu nehmen, damit sie einen kurzen Blick in die Auslagen der prächtigen Geschäfte werfen konnten â Flora war mit allem einverstanden.
Vor dem Maison Kuttner blieb sie stehen. »Den Laden kenne ich â ich war sogar schon mit meiner Mutter drin!« Mit gerunzelter Stirn erzählte sie der Magd von der »freundlichen« Bedienung in dem Blumenladen.
»Die schnappen dem gnädigen Herrn all die guten Aufträge und Kunden weg. Aber wen wunderts? Die hocken mitten im Leben, während der Blumenladen Sonnenschein arg weit ab vom Schuss liegt.«
Flora schüttelte den Kopf. »Jetzt übertreibst du aber! Wenn man zügig läuft, ist man in wenigen Minuten da â es sind doch nur ein paar StraÃen â¦Â«
»Aber den Kurgästen ist selbst dieser Weg zu weit. Also, ich würde mich nicht trauen, hier reinzugehen«, sagte Sabine. »Unsereiner ist denen nicht fein genug.«
Abrupt blieb Flora stehen. Beide Arme in die Seiten gestemmt, fragte sie wütend: »Stinkt unser Geld etwa? Sind wir weniger wert als die Damen und Herren hier?« Sie machte eine weit ausholende Handbewegung, mit der sie die flanierenden Passanten einschloss.
Sabine, der die Szene unangenehm war, zog Flora rasch weiter. »Wir sind halt Dienstboten â für uns gelten andere Gesetze, das war schon immer so.«
Flora biss sich auf die Lippe. Das sah sie aber ganz anders! Wie hatte der Vater immer zu ihr gesagt? »Kind, manche Kunden mögen uns fahrende Händler von oben herab behandeln.Aber als Gönninger Samenhändler bist du jedem Menschen auf dieser Welt ebenbürtig! Wir lassen uns von niemandem den Mund verbieten.«
Als sie das Ufer der Oos erreicht hatten, begann es langsam zu dämmern. Fasziniert schaute Flora auf die Hotels, die sich wie Perlen an einer Kette entlang dem Flussufer aneinanderreihten. Auf den Hotelterrassen, in den Speisesälen, in Kaminzimmern und Salons â überall glitzerten Kerzen und funkelten Kronleuchter wie Abertausende von Glühwürmchen in einer Sommernacht.
»Wir sollten langsam umkehren. Wenn es dunkel ist, müssen wir daheim sein«, sagte Sabine.
Doch Flora konnte sich von dem herrlichen Anblick nicht loseisen. »Schau mal, da findet bestimmt ein Tanzball statt«, hauchte sie andächtig und nickte in Richtung des Englischen Hofes, auf dessen Terrasse elegant gekleidete Damen und Herren in Grüppchen zusammenstanden. »Das würde ich mir gern aus der Nähe angucken â¦Â« Einzelne Töne eines Musikstückes
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