Das Blumenorakel
kleinem Häubchen trat an Konstantins Tisch. Als sie ihn sah, begann sie ohneersichtlichen Grund zu kichern. Ein Hauch von Röte schoss ihr dabei ins Gesicht.
Konstantin grinste â selbst unrasiert und unausgeschlafen schien er seine Wirkung auf die Damenwelt nicht verloren zu haben. Er bestellte sein Morgenmahl und bat um eine Zeitung. Zum Glück sprach er nicht nur Französisch, sondern auch etwas Deutsch â was er seiner GroÃmutter mütterlicherseits, die Ãsterreicherin gewesen war, zu verdanken hatte. Wer hätte gedacht, dass die langweiligen Besuche bei der alten Frau in seinem Leben noch zu etwas gut sein würden? Konstantins Gedanken schweiften abermals in die Vergangenheit.
Warum hatte die Mutter den Beteuerungen des Vaters, in naher Zukunft würde sich das Blatt für immer zum Besseren wenden, stets aufs Neue Glauben geschenkt? Nie war etwas daraus geworden. Aber Anna Sokerova hatte jede enttäuschte Hoffnung schicksalsergeben hingenommen.
Konstantin war längst kein Kind mehr gewesen, als er die Antwort auf seine Frage fand: Es war die Liebe.
Die Liebe hatte die Mutter alles verzeihen, alles hinnehmen, alles erleiden lassen.
Vom Tag dieser Erkenntnis an hatte Konstantin für die Frau, die ihn geboren hatte, nur noch Verachtung übrig gehabt.
Die Lektion, die sie ihn mit ihrem Verhalten gelehrt hatte, würde er in seinem Leben jedoch nie vergessen: Für die Liebe erbrachten Frauen jedes Opfer. Vor allem, wenn dieses Opfer einem gutaussehenden, charmanten Mann galt, der es verstand, mit Worten groÃe Luftschlösser zu bauen.
Und noch eine Erkenntnis hatte er aus jener Zeit mitgenommen: Armut war etwas Schreckliches. Deshalb wollte er nie mehr arm sein.
Sein Frühstück kam. Die Bedienung mit der weiÃen Schürze, die von Nahem betrachtet nicht mehr die Jüngste war, knickste kokett und fragte, ob sie ihm noch etwas bringen dürfe.
Sie dürfe, antwortete er, ihm stünde der Sinn nach einem Glas Champagner.
Diesen schenkten sie nur flaschenweise aus, erwiderte die Serviererin, woraufhin Konstantin antwortete, dass er dann eben eine Flasche nehme.
Der Champagner perlte fein im Kelch, als Konstantin sich selbst zuprostete. Eine Stadt, in der Champagner nicht gläserweise, sondern nur in Flaschen zu haben war â die war ganz nach seinem Geschmack. Wie gut, dass er sich für Baden-Baden und nicht für Rom entschieden hatte. Die neue italienische Hauptstadt hatte in seinen Ãberlegungen nämlich ebenfalls ihren Platz gehabt. Ach, es gab noch so viele Orte, die er in seinem Leben sehen wollte!
Als im Jahr zuvor wieder einmal überlegt wurde, was aus Konstantin und seinen Geschwistern werden sollte â dass sie ihren Lebensunterhalt nicht im Familienunternehmen würden bestreiten können, war allen klar â, hatte Konstantin zur Mutter gesagt: »Die Welt will ich kennenlernen!«, wohl wissend, dass dafür das Geld fehlte. Allerdings hatte er nicht mit Anna Sokerovas Einfallsreichtum gerechnet: Nach einer zweitägigen Reise, von der Konstantin bis heute nicht wusste, wohin und zu wem sie Anna geführt hatte, überraschte sie ihn mit einem Stipendium einer nahe gelegenen Universität, die Verbindungen zu einer französischen Künstlerakademie unweit von Paris hatte. Man würde Konstantin die Reise nach Frankreich bezahlen, und auch Kost und Logis während seiner einjährigen Studien würde man übernehmen, stand in den wichtig aussehenden Dokumenten.
Ein Jahr in Paris, sich unter Malern, Literaten, Bildhauern zu bewegen â und all das auch noch bezahlt zu bekommen! Nie hatte Konstantin auch nur gehofft, dass es das Schicksal so gut mit ihm meinen würde.
Zu gern hätte er gewusst, wie die Mutter zu einem derartigen Stipendium gekommen war â seinen höchstens durchschnittlichen Mal- und Zeichenkünsten hatte er es jedenfalls nicht zu verdanken!
Anna Sokerova hatte mit eingefrorenem Lächeln gesagt, siesei gewiss, dass sich durch diesen Aufenthalt im Ausland interessante Möglichkeiten für ihn ergeben würden. Konstantin war sich bis heute nicht sicher, was er aus dem Satz hatte heraushören sollen. Dass er von nun an selbst für sich sorgen musste? Dass er der Familie nicht mehr auf der Tasche liegen sollte?
Das war auch sein Ziel gewesen, ging es Konstantin durch den Kopf, während sich die StraÃe vor dem Fenster mit immer mehr
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