Das Blumenorakel
nächtigen. Tür an Tür, und jeder bekäme mit, wie ⦠Flora schauderte.
Friedrich winkte ihr vom Stammtisch aus zu. Sie lächelte zurück. Wie gelöst und froh er aussah, ihr Ehemann â¦
»Mir ist übrigens etwas eingefallen, womit du deine reichen Russen begeistern könntest«, sagte Seraphine so unvermittelt, dass Flora ihr im ersten Moment nicht folgen konnte.
»Wie? Was â¦Â«
»Ich meine den Rat, den dein Vater dir gegeben hat! Das Theater, das man für die verwöhnte Kundschaft inszenieren muss. Ich hätte da eine Idee â¦Â« Seraphine legte eine kurze Sprechpause ein, die offensichtlich nur darauf angelegt war, Floras Interesse zu steigern. »Es geht um das Buch über die Blumensprache, das du mir im letzten Winter gezeigt hast«, fuhr sie fort, nachdem sie sich der Aufmerksamkeit ihrer Nichte sicher war. »Hast du inzwischen noch mehr zu diesem Thema gelesen?«
Flora runzelte die Stirn. »Wie meinst du das â noch mehr?«
»Ach Kind, zum Thema Blumen gibt es doch noch viel mehr Bücher! Hast du zum Beispiel schon einmal Balzacs Roman Die Lilie im Tale gelesen? Oder kennst du Goethes herrliche Blumengedichte? Diese Wortgewalten â¦Â«
Flora schüttelte den Kopf und lachte. »Die groÃe Leserin warst immer nur du. Ehrlich gesagt habe ich lange gedacht, das Büchlein, das Mutter mir einst schenkte, sei das Einzige seiner Art â¦Â« Das gibts doch nicht, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Da saà sie in ihrer Hochzeitsnacht mit Seraphine zusammen und schwadronierte über Blumenbücher! War das Seraphines Versuch, sie von ihren Ãngsten abzulenken? Falls ja, war sich Flora noch nicht sicher, ob die Tante damit Erfolg hatte.
Seraphine hob missbilligend ihre Augenbrauen. »Scheinbar liegt dir doch nicht so viel an diesem Thema, wie ich dachte. Dabei warst du damals doch Feuer und Flamme! Ich erinnere mich noch genau, wie du uns ständig mit irgendwelchen Blumendeutungen in den Ohren gelegen bist.«
»Ja schon, aber â¦Â« Flora zuckte mit den Schultern. Worauf wollte die Tante hinaus?
»Mich hat das Thema nämlich nicht mehr losgelassen«, sagte Seraphine. »Aber hier im Dorf interessiert sich niemand für die Malerei oder Blumengedichte. Da dachte ich, wenigstens du â¦Â«
Flora hob die Hände in einer abwehrenden Geste. »Jetzt guck mich nicht so enttäuscht an. Ob dus glaubst oder nicht, vor lauter Arbeit habe ich die Blumensprache einfach aus den Augen verloren. Du sagst, es gibt noch mehr Bücher darüber? Die will ich unbedingt lesen!«
Seraphines Blick war bei Floras letzten Worten wieder versöhnlicher geworden. »Ich glaube, den Russen würde die Blumensymbolik gut gefallen â es heiÃt doch immer, sie seien ein so romantisches Volk. Blumen kann man schlieÃlich überall kaufen, aber Blumen, die Geschichten erzählen oder die in Gedichten auftauchen, das wäre was Besonderes, verstehst du?«
»Damit magst du recht haben«, sagte Flora, doch ihre Stimme klang zweifelnd. »Ich hatte diesen Gedanken auch schon, ganz zu Anfang, aber mein lieber Schwiegervater kann mit der Sprache der Blumen leider nichts anfangen. Ganz im Gegenteil â er hat mir ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, dass er es nicht schätzt, wenn ich die Kunden damit belästige. Er ist der Ansicht, die Blumensprache sei nicht eindeutig genug. Der eine deutet eine Wicke so, der nächste wieder anders â da könne es schnell zu unangenehmen Missverständnissen kommen.«
»Unrecht hat er damit nicht â im Orient gibt es tatsächlich eine andere Blumensymbolik als in Europa, wahrscheinlich gibt es sogar verschiedene Deutungen in jedem Land, keine Ahnung. Und für wie symbolhaft eine Blume gilt, hat auch immer mit der jeweiligen Zeit zu tun, in der der Verfasser eines Buches gelebt hat, so viel habe ich schon herausgefunden. Die alten Ãgypter zum Beispiel â¦Â« Seraphine unterbrach sich. »Ich will dich nicht langweilen, war ja auch nur eine Idee. Es ist nur so â seit du damals mit dem Büchlein angekommen bist ⦠Für mich war das wie der Schlüssel zu einer neuen Welt! Immer nur mit Sämereien zu tun zu haben ist manchmal ein wenig eintönig.«
Flora lachte. »Das brauchst du mir nicht zu sagen!« Seraphine beugte sich näher zu ihr. »Stell dir
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