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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Menschen, der Stirb falsch
schreiben kann.
    Das ist schlimm, aber was ich dann sehe, ist schlimmer. Viel
schlimmer. Keith Richards Gitarre. Auf dem Gehsteig. In tausend Stücken.
    Arden hasst mich. Soviel ist klar. Nick wahrscheinlich auch.
Ein kurzes Gefummel hat ihn eine echt gute Gitarre gekostet. Und sobald Arden
ihre SMS losgeschickt hat, wird mich jeder in der
St. Anselm, der mich nicht jetzt schon hasst, in Zukunft hassen. Ganz Brooklyn
Heights wird mich hassen. Der Staat von New York. Die Ostküste. Nordamerika.
    Und plötzlich kommt mir Paris gar nicht mehr so übel vor.
    Â Â 10  
    Flughäfen sollten alle zum selben Staat gehören. Zu
     Kackistan. Ödkahlien. Oder Ätzland.
    Einer sieht exakt wie der andere aus. Egal wo man hinkommt in
der Welt, bei der Landung sieht man nur Asphalt, Unkraut und weggeschmissene
Kaffeebecher. Wir trafen in Orly ein und warteten eine Stunde auf unsere
Koffer, weil das Gepäckpersonal streikte. Dann stiegen wir in ein Taxi. Jetzt
stecken wir vor Paris in der Nähe von Rungis auf der A16 im Montagabend-Stau.
Aber wir könnten auch in Queens sein. Oder in Newark. Oder in der Hölle.
    Â»Twenty-twenty-twenty
four hours to go – I wanna be sedated.«
    Â»Kannst du damit aufhören, bitte?«
    Â»Nothin’to
do- Nowhere to go – I wanna be sedated.«
    Â»Andi …«
    Â»Just
get me to the airport – Put me on a plane – Hurry hurry hurry before I go
insane …«
    Â»Schluss jetzt!«
    Dad zieht meinen linken Ohrstöpsel raus, also kann ich nicht
mehr so tun, als würde ich ihn nicht hören.
    Â»Was?«
    Â»Ich versuche zu telefonieren!«
    Mein Gesang geht ihm auf die Nerven. Die Ramones gehen ihm
auf die Nerven. Meine Gitarre zwischen uns nimmt zu viel Platz ein, und das
geht ihm auf die Nerven. Alles an mir geht ihm auf die Nerven. Mein ungeschickter
Umgang mit dem Eyeliner. Mein Haar. Das Metall. Vor allem das Metall. Es hat
uns fünfzehn Minuten an der Sicherheitsschleuse von Logan gekostet, nachdem wir
ohnehin schon spät dran waren. Mehrmals habe ich den Alarm ausgelöst. Ich
musste alles ablegen. Die Nietenjacke. Den Totenkopfgürtel. Armreifen, Ringe
und Ohrschmuck.
    Â»Ziehst du in den Kampf, Süße?«, fragte mich die
Sicherheitsangestellte, während sie mir dabei zusah, wie ich alles in einen
Plastikbeutel stopfte.
    Ich ging erneut durch die Schleuse. Wieder piepte es. Dad
kochte vor Wut. Die Sicherheitsangestellte tastete mich von oben bis unten ab.
Sie griff unter meine Arme. Sah in meine Socken. Fuhr mit dem Finger am Kragen
meines Hemds entlang.
    Â»Was ist das?«, fragte sie und zupfte an dem roten Band um
meinen Hals.
    Ich wollte es nicht abnehmen, hatte aber keine andere Wahl.
Ich zog es über den Kopf und gab es ihr. Dann ging ich wieder durch die
Schleuse. Kein Piepen mehr. Ich sah meinen Vater an und dachte, er wäre erleichtert,
dass ich endlich durchgekommen war. Aber was ich sah, war keine Erleichterung.
Sein ganzes Gesicht war verrutscht. Wie tektonische Platten.
    Â»Du hast ihn?«, fragte er, als mir die Sicherheitsangestellte
den Schlüssel zurückgab.
    Er griff danach, aber ich zog das Band schnell über den Kopf
und ließ den Schlüssel unter mein Hemd gleiten – Flugverbotszone für Dads.
    Â»Ich … ich wusste nicht, dass du ihn hast«, sagte er. »Wie …«
    Â»Er war in seiner Hose. In seiner Tasche.«
    Â»Ich hab danach gesucht. Ich dachte, er wäre in meinem
Schreibtisch.«
    Â»Er hat ihn sich zurückgeholt.«
    Â»Wann?«, fragte er flüsternd.
    Â»Nach dem Nobelpreis.«
    Â»Warum?«
    Ich gab keine Antwort.
    Â»Andi … warum?«
    Â» Weil
du deinen Schlüssel zur Welt gefunden hattest.«
    Wie kommt es, dass Wochen und Monate wie im Flug vergehen,
aber bestimmte Momente für immer andauern. Truman, der sich umdreht, und mir
zum letzten Mal zuwinkt. Meine Mutter, die in den Armen des Polizisten
ohnmächtig wird. Und jetzt dieser: Mein Vater, der am Flughafen in Logan neben
dem Durchleuchtungsgerät steht, zusammengesunken und schlaff, wie eine
Marionette, deren Fäden abgeschnitten wurden.
    Wir schafften es noch rechtzeitig zum Flugsteig. Wir nahmen
eine der ersten Maschinen früh am Morgen. Ich hörte Musik und schlief. Er
arbeitete.
    Â»Können wir Mom anrufen?«, frage ich ihn, als er sein
Telefonat beendet hat.
    Â»Nein. Du weißt doch sicher

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