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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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gerät ins
Stocken. »… diese umwerfende Westgotin? Meine kleine Andi? Ganz erwachsen und
in voller Montur, um die Römer zu schlagen.«
    Â»Und jeden anderen«, fügt mein Vater hinzu.
    Â»Kommt rein! Kommt rein!«, sagt G. »Lili erwartet euch
schon!«
    Er geht voran durch die Tür, verschließt sie und führt uns in
einen langen, schlecht beleuchteten Innenhof, der mit allen möglichen
Gegenständen vollgestopft ist – marmornen Säulen, Friesen, Straßenlaternen,
Pferdetrögen, einem Brunnen und einem Dutzend Statuen ohne Kopf.
    Â»Bist du sicher,dass das die richtige Adresse ist?«, habe ich
meinen Vater gefragt, als unser Taxi hier anhielt. Wir waren nach Saint-Antoine
gefahren, eine Gegend am östlichen Stadtrand, ins reinste Niemandsland. Ich
blickte aus dem Taxifenster und konnte nichts erkennen außer zwei riesige
Eisentüren in einer hohen Steinmauer. Sie waren über und über mit Graffiti beschmiert
und mit zerfetzten Plakaten beklebt, die für Autosalons und Stripbars warben.
Das Gebäude wirkte verlassen. Gegenüber gab es eine Karosserie-Werkstatt, ein
schmuddeliges griechisches Café und ein Geschäft für Heizungsrohre. Sonst
nichts.
    Â»Rue Saint-Jean, Nummer 18. Ich bin sicher, das ist es«,
sagte Dad und bezahlte den Fahrer. »G. hat mir erzählt, es sei eine alte
Möbelfabrik. Angeblich hat er sie erst vor ein paar Monaten gekauft.«
    Er fand eine verrostete Klingel, die an ein paar Drähten
hing, drückte drauf, und kurz darauf sperrte G. eine kleine Tür auf, die in die
großen Eisentüren eingelassen war, und küsste uns zur Begrüßung.
    Â»Hier sieht’s ja aus wie am Ende der Welt«, sagt Dad jetzt.
»Wie am Drehort für einen Weltuntergangsfilm.«
    Â»Wir sind am Ende der Welt, mein Freund! Der Welt des achtzehnten
Jahrhunderts. Hier entlang!«, antwortet G. und führt uns in das hohe Gebäude.
»Geradeaus, nach hinten zur Treppe. Kommt nur, kommt.«
    Er eilt voraus. Das Erdgeschoss, das nur aus einem
höhlenartigen Gewölbe besteht, ist fast bis zur Decke mit Kartons und Kisten
vollgestopft. Ein schmaler Weg geht mitten hindurch. Ich gebe acht, beim
Hindurchgehen nicht irgendwo anzustoßen.
    Â»Das ist alles noch nicht katalogisiert«, sagt G. und klopft
auf eine Kiste. »Im zweiten Stock herrscht mehr Ordnung«, fügt er hinzu.
    Â»Was ist das alles?«, fragt Dad.
    Â»Die Gebeine des alten Paris, mein Freund! Die Geister der
Revolution!«
    Dad bleibt wie angewurzelt stehen. »Du machst wohl Scherze.
Gehört das alles dir? Ich dachte, du hättest nur ein paar Kisten von diesem
Zeug.«
    Auch G. bleibt stehen. »Ich hatte vierzehn Stauräume, alle
bis zur Decke vollgestopft, dann wurde vor einem Jahr dieses Objekt angeboten,
und ich wusste sofort, dass es genau das Richtige war. Also hab ich es gekauft
und die ganze Sammlung hergeschafft. Ich hab jetzt Sponsoren, weißt du. Sechs
französische Firmen und zwei amerikanische. Noch zwei, höchstens drei Jahre –
und der Durchbruch ist geschafft.«
    Â»Wofür ist das alles?«, frage ich, weil ich mir nicht
vorstellen kann, was er mit dem ganzen Zeug anfangen will.
    Â»Für ein Museum, mein Mädchen! Eines, das nur der Revolution
gewidmet ist. Hier in dieser alten Fabrik.«
    Â»Hier?«, fragt mein Vater skeptisch und wirft einen Blick auf
die zerbrochenen Fenster und das faulende Holz.
    Â»Aber natürlich. Wo sonst?«
    Â»Im Zentrum von Paris vielleicht? Wo die Touristen sind?«,
schlage ich vor.
    Â»Nein, nein, nein! Es muss hier in Saint-Antoine sein!«, sagt
G. »Das war das Arbeiterviertel, das Herz der Revolution. Von hier kam die Wut,
das Blut und die Kraft, die den Kampf antrieben. Danton debattierte in der
Nationalversammlung, ja. Desmoulins hielt Reden im Palais Royal. Aber wenn die
Politiker etwas anzetteln wollten, nach wem riefen sie wohl? Nach den Furien
von Saint-Antoine! Nach den Fabrikarbeitern, den Metzgern, den Fischweibern und
Wäscherinnen. Nach den im Elend lebenden, aufgebrachten Armen. Also muss es
hier stehen, das Museum. Hier, wo die Leute lebten, kämpften und starben.«
    So redet G. Immer. Selbst wenn er keine Filme für BBC dreht.
    Dad schiebt ihn zur Seite, um einen besseren Blick auf etwas
hinter G. werfen zu können. »Ist es das, was ich vermute?«, fragt er und hebt
eine Plane hoch.
    Â»Wenn du glaubst, das

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