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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Zwei! Warum lernst du nicht? Du
willst wohl dein ganzes Leben lang Curry rühren? Meinst du Harvard nimmt Jungs
auf, die Tag und Nacht rumalbern? Warum verplemperst du so deine Zeit?«
    Â»Vielen Dank, Mrs. Gupta«, sage ich. Sie heißt Rupal mit
Vornamen. Ich habe nie gehört, dass jemanden sie so genannt hätte.
    Â»Ah! Du bist’s, Andi. Was tust du um diese Zeit im Bett
meines Sohnes?«
    Â»Ich versuche zu schlafen.«
    Â»Wie wär’s mit deinem eigenen Bett? Bei dir zu Hause? Wie
soll Vijay so arbeiten können? Wie kannst du so arbeiten? Im Leben geht’s nicht
ständig bloß um Party, Party, Party! Ihr müsst gute Noten kriegen. Ihr beide.
Weißt du, was dich andernfalls erwartet? Nein? Dann werde ich’s dir sagen …«
    Vijay lehnt sich in seinem Stuhl zurück und stöhnt.
    Â»â€¦ du wirst dein Leben lang für jeden dahergelaufenen Inder
Chapatis braten! Du wirst zusammen mit zehn anderen in einer dreckigen
Bruchbude in den Jackson Heights wohnen, weil du dir eine Bleibe in den
Brooklyn Heights von deinem Mindestlohn nicht leisten kannst. Wie willst du
dein Essen bezahlen? Deine Rechnungen? Wir leben nicht in der ATV -Welt, wie ihr beide vielleicht meint …«
    Â» MTV -Welt«, sagt Vijay.
    Â»â€¦ wo dumme, tätowierte Leute den ganzen Tag Gitarre spielen
und keiner einen Handschlag tut!« Sie hält kurz inne, um Luft zu holen. »Ihr
seid herzlos, ihr Kinder. Was für Sorgen ihr euren Eltern macht!« Zum Abschluss
schenkt sie Vijay einen Blick voller Tragik, als hätte sie einen Serienmörder
zum Sohn anstelle eines künftigen Jahrgangsbesten in Harvard.
    Â»Geh heim, Andi«, sagt sie zu mir. »Um diese Zeit gehören
junge Damen nach Hause. Deine Mutter wird sich Sorgen machen.«
    Zu Vijay sagt sie: »Hast du’s bei Präsident Zadari versucht?«
    Â»Geh wieder ins Bett, Mom!«, ruft Vijay.
    Mrs. Gupta zieht ab. Vijay sagt: »Ach ja, Winterferien in
Mumbai. An keinem Ort würde ich lieber sein. Also, wie auch immer, warum bist
du um diese Zeit in meinem Bett?«
    Â»Weil ich dich will, Baby.«
    Daraufhin brechen wir beide in hysterisches Gelächter aus.
Vijay geht mit der Jahrgangsbesten aus der Slater-Schule, einem wunderschönen
indischen Mädchen, das Kinderärztin werden will. Sie gehen im Prospect Park
joggen. Ich gehe mit Jungs wie Joey Ramone. Die laufen auch schnell. Meistens
aus Geschäften raus. Mit Sicherheitsleuten hinter sich.
    Â»Was ist passiert?«, fragt er mich wieder.
    Â»Nichts. Warum sollte was passiert sein?«
    Â»Weil immer was passiert mit dir. Bist du zu Nicks Party
gegangen?«
    Â»Ja.«
    Â»Und?«
    Ich zwinkere ihm zu. »Das steht morgen auf der Titelseite der Post.«
    Â»Im Ernst, Andi.«
    Ich möchte ihm sagen, dass ich es fast zum Aufmacher in der Post gebracht
hätte. Dass ich kurz davor war an diesem Abend. Oben auf Nicks Dach. So kurz davor wie noch nie. Nur einen Schritt entfernt.
Es hätte nur noch ein Schritt gefehlt. Ich möchte ihm von meinem Vater
erzählen. Und meiner Mutter. Und von Paris. Deswegen bin ich hergekommen. Ich
möchte ihm sagen, dass ich Angst habe. Aber ich tue es nicht. Weil ich weiß –
wenn ich ihn so mit seinem Headset, seinen Büchern und seinen Notizen sehe –,
dass er sich nicht mit mir abgeben sollte heute Abend. Oder überhaupt. Er
sollte mit der Downing Street, dem Elysée-Palast und dem Weißen Haus
telefonieren. Weil er so begabt und so gut ist.
    Ich stehe auf. »Ich gehe jetzt«, sage ich. »Ich finde selbst
raus.«
    Â»Bleib doch. Du kannst hier pennen.«
    Ich küsse ihn auf die Stirn, heftig und schnell, weil er es
immer noch versucht, wenn alle anderen schon aufgegeben haben, und ich habe
keine Ahnung, warum. »Zadari wartet«, sage ich. »Pakistan hat jetzt die Atombombe.
Du solltest ihn lieber nicht verärgern.«
    Und dann bin ich draußen. Wieder draußen und auf dem Weg nach
Hause. Dort will ich zwar nicht sein, aber mir ist kalt, ich bin müde und weiß
nicht, wohin ich sonst könnte.
    Weil ich den Kopf eingezogen habe, entdecke ich es nicht
sofort, als ich in meine Straße einbiege. Doch als ich vor meinem Haus
angelangt bin, ist es nicht zu übersehen. STIERB SCHLAMPE steht auf dem
Pflaster vor der Treppe. Mit Spraylack in riesigen Lettern. Ich weiß, wer das
getan hat. In ganz Brooklyn gibt es nur einen

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