Das Blut der Rhu'u (German Edition)
wir alles dafür vor. Denn auch wenn es uns gelingt, den Arrod’Sha zu heilen, sollten wir hier nicht bleiben. Die USA wären vielleicht kein schlechtes Ziel.« Er nickte Camiyu zu. »Versuch trotzdem, die Lösung dieses poetischen Rätsels zu finden.«
Camiyu verzog das Gesicht. »Ich dachte, ich könnte vorher noch eine Weile Urlaub machen.«
Cal lachte und verließ das Zimmer. Die anderen folgten ihm. Carana blieb sitzen und lächelte Camiyu aufmunternd zu. Er lächelte zurück. Seit sie nach ihrer Rückkehr aus dem Kloster vor fünf Tagen zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, verspürten sie beide keine Lust mehr auf andere Partner. Sehr zum Amüsement der Familie, die das für eine vorübergehende Affektion hielt. Carana war überzeugt, dass mehr dahintersteckte. Sie und Camiyu verstanden sich auf einer tiefen Ebene, die über die körperliche Anziehungskraft weit hinausging.
»Lass mich noch mal den Spruch aus der Chronik sehen«, bat sie und setzte sich neben ihn. »Was hat der Chronist denn eingetragen, bevor er sein hübsches Gedicht verfasste?«
Camiyu legte das Buch so auf die Knie, dass sie auch hineinsehen konnte. »Nach der Beschreibung, wo die Gemeinschaft ihn gefunden hatte, schreibt er nur: ›Wir haben den Splitter geholt und verwahren ihn wohl.‹ Danach folgt das Rätsel.«
Sie nickte und las es sich mehrmals durch. »Was glaubst du, könnte mit dem ›Ort aus Licht, wo der Herr in seiner Güte spricht‹ gemeint sein?«
Er zuckte mit den Schultern. »Wenn wir davon ausgehen, dass er das metaphorisch und nicht wörtlich gemeint hat – und davon bin ich überzeugt –, dann kommt so ziemlich jede Kirche, jedes christliche Kloster und jede christliche Pilgerstätte weltweit infrage. Na ja, nicht ganz weltweit. Der Eintrag stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Australien war noch nicht entdeckt, und ich glaube, die Arktis und Antarktis können wir ebenso ausschließen wie Amerika. Den Splitter, der auch einen gewissen materiellen Wert gehabt haben dürfte, über Monate hinweg auf einem Schiff Richtung Amerika bei sich zu haben, von dem man im Falle eines Falles nicht hätte fliehen können, wäre zu riskant gewesen. Abgesehen davon, dass die Kunde von der Existenz Amerikas erst relativ spät bis in die Highlands gedrungen ist. Bleiben noch Europa, Afrika und Asien. Sie haben die beiden Sarazenen damals ›ans Ende der Welt‹ bis nach China geschickt, um die beiden Fragmente dort zu verstecken. Damit der Arrod’Sha nicht zusammengefügt werden kann, hätte es wenig Sinn gehabt, dieses in mehr oder weniger großer Nähe zu denen zu deponieren. Wenn du mich fragst, deutet der Passus ›wir verwahren ihn wohl‹ darauf hin, dass sie ihn in einem Versteck verborgen haben, zu dem sie jederzeit Zugang hatten. Was mich vermuten lässt, dass das hier in den Highlands irgendwo ist.«
»Macht Sinn. – Mariens Blumen?«
»Jede Blume oder Pflanze, die blüht und entweder Maria im Namen trägt oder gemäß einer Legende mit ihr in Verbindung gebracht wird. Ich habe sie schon auf zwei eingegrenzt. Den Frauenmantel, auch Marienmantel genannt und die Mariendistel. Zwar wird Maria auch oft mit Rosen in Verbindung gebracht, aber mein Gefühl sagt mir, dass es das nicht ist.«
Carana dachte nach. »Wo entspringt das Leben?«
»Im Mutterleib. In größerem Zusammenhang betrachtet, im Ozean, beziehungsweise Wasser allgemein. Der Ort könnte also eine Höhle sein.«
»Die müsste aber ein Loch haben«, vermutete Carana. » ›Wenn die Glocke am Mittag singt‹ – Kirchenglocken läuten doch immer noch um zwölf Uhr mittags. Zu der Zeit steht die Sonne am höchsten, scheint also von oben in die Tiefe.«
»Gute Idee.« Camiyu lächelte ihr zu und tippte sich nachdenklich ans Kinn. »Es müsste also ein Ort sein, in dessen unmittelbarer Nähe eine Höhle ist. Oder der selbst eine Höhle ist. Und da kommen eine Menge Orte infrage. Wir müssten die Suche noch etwas stärker eingrenzen können. Aber ich entdecke in diesem Rätsel nichts, was uns noch weiterhelfen würde.«
Carana nickte. »Es muss ein Ort sein, den sie für absolut sicher gehalten haben. Und Wasser spielt wahrscheinlich auch eine Rolle, falls der Chronist das Wort ›glühen‹ nicht nur deshalb verwendet hat, weil es sich auf ›blühen‹ reimt. Denn Felsboden oder Erde in einer Höhle glüht normalerweise nicht. Allenfalls durch ›Alpenglühen‹, das aber nicht zur Mittagszeit auftritt. Dagegen kann man die Reflexionen von
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